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Briefe an eine Freundin

Briefe an eine Freundin

Titel: Briefe an eine Freundin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wilhelm von Humboldt
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nähere, sondern mein inneres Bedürfnis so mit meinem eigenen inneren Vermögen in Gleichgewicht gesetzt habe, daß sich das erstere nie nach außen zu wenden braucht. Ich kann mit Wahrheit sagen, daß ich nie auf Dank rechne, sondern das, was ich für andere tue, wenn es mir nicht gewissermaßen gleichgültig erscheint, aus Ideen und Grundsätzen fließt, die für mich einen von der Wirkung auf den andern ganz unabhängigen Wert haben. Ich werde auch nie durch etwas gereizt. Was mein Wesen ausmacht, ist abgeschlossen in sich
und unabhängig von allen solchen das Leben so vieler kleinlich bewegenden Zufälligkeiten. Ich tadle diese darum nicht; sie haben ihre Weise und ich die meinige. Aber die meinige ist die sicherere und beglückendere. Dabei ist mir jede Anerkennung, jede mir erwiesene Teilnahme, jede mir geäußerte Gesinnung erfreulich, und ich bin gern dankbar. Ich schätze sie besonders als ein Zeichen dessen, was in der Seele derer ist, die sie hegen. Wird nun eine solche anhängliche, treue, verehrende Gesinnung seit langer und sehr langer Zeit, wie in Ihnen, liebe Charlotte, fortgetragen, so steigt natürlich der Wert derselben. Es freut mich daher immer, zu sehen, wie Sie erkennen, daß der nie sich verleugnende Ernst und die in sich geschlossene Festigkeit meiner Ideen, meine Unabhängigkeit von äußeren Dingen, meine Gewohnheit, mein Glück mir nur selbst aus meinem Innern zu schöpfen, über Ihnen schweben, wie Sie gern daran herauf blicken und Ihre Ideen dadurch berichtigt sehen, wo sie einer Berichtigung bedürfen. So wird es auch gewiß ferner und immer bleiben. Mein inniger Anteil, meine Bereitwilligkeit, meine Freude, Ihnen nützlich und erfreulich zu sein, werden Ihnen stets unwandelbar bleiben. Ich bitte Sie, mir den 2. Oktober und nicht später zu schreiben. Der Herbst ist wunderschön; ob er gleich immer unsere sicherste und beste Jahreszeit ist, scheint es mir doch, daß er in diesem Jahr sich selbst übertrifft. Leben
Sie recht wohl. Mit der herzlichsten Teilnahme Ihr H.
     
     
Tegel
, den 8. Oktober 1827.
     

    I ch habe, liebe Charlotte, Ihren Brief vom 2. Oktober vor einigen Tagen erhalten, und er hat mich aufs neue erfreut, und ich danke Ihnen herzlich dafür.
    Was sagen Sie zu diesem prachtvollen Wetter? Man kann unmöglich es so ungerührt an sich vorübergehen lassen. Indes liebe ich an unserem nördlichen Klima das, daß die Jahreszeiten sich voneinander unterscheiden, und nicht in Gleichförmigkeit ineinanderfließen. In südlichen Ländern ist das nicht so, der Frühling trennt sich nicht bestimmt wie bei uns vom Winter, er ist mehr nur der noch mildere Teil desselben. Gerade aber der Übergang aus der Erstarrtheit und der Dumpfheit des Winters in die heitere Lauigkeit des Frühlings macht einen tiefen und anregenden Eindruck auf das Gemüt. Verbunden mit dem Herbst, durch den hindurch die Natur in die Gebundenheit des Winters übergeht, schließt sich der Wechsel und die Folge dieser drei Jahreszeiten an die großen Ideen an, die dem Menschen immer die nächsten sind, das Erstarren im Tode und das Auferstehen zu neuem Leben. Was man um sich sieht und empfindet, und was einer in der inneren Tiefe seines Gemüts denkt, stellt unter ganz verschiedenen Formen immer diesen Wechsel und diese Übergänge
vor. Am lebendigsten aber tut es die Natur im Wechsel der Jahreszeiten, in allem Begraben des Samens in die ihn mütterlich verdeckende Erde, und dem Wiederhervorkeimen aus derselben und vielen anderen Erscheinungen, die man symbolisch und allegorisch also deuten und darauf beziehen kann. Es ist der große Gedanke der Natur selbst, die nur dadurch besteht, daß sie sich ewig wieder erneuert. Wäre man immer recht durchdrungen von dieser Idee, so würde man sehr oft seinen Handlungen, Empfindungen und Gedanken eine andere Richtung geben, als man jetzt oft tut. Man würde nämlich fühlen, daß alles darauf hinausgeht, eine gewisse Reife zu erlangen, mit welcher allein jener Übertritt aus dem gebundenen und unvollkommenen Zustande in den freieren und vollkommeneren gedacht werden kann. Denn man kann sich doch das Sterben und wieder zu neuem Dasein Erstehen nicht als bloß zufällig geschehend, oder auf irdische Ereignisse berechnet, vorstellen. Das Verlassen dieses Lebens steht gewiß, es geschehe früh oder spät, in unmittelbarer Beziehung auf das innere Wesen des Dahingehenden und ist immer ein Zeichen, daß nach der Erkenntnis, der nichts verborgen ist, eine fernere Entwickelung

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