Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben

Titel: Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Diana L. Paxson
Vom Netzwerk:
gewahr, und er wusste, dass Artor den Hügel erklomm. Niemand sonst hätte es gewagt. Selbst die Mönche kamen nur an Feiertagen hierher, um zum Erzengel Michael zu beten, von dem sie erhofften, er würde die alten Mächte binden, die im Tor lebten.
    Die auffrischende Brise wirbelte spiralförmige Staubwolken auf. Merlin lächelte. Konnte man die Wasser binden, die durch die Erde flossen, oder den Wind, der den Menschen die Haare durchkämmte? Vielleicht bewahrten die Gebete der Mönche sie davor, die Macht des Tor zu spüren, doch selbst mit geöffneten Augen konnte Merlin die Kraftlinien erkennen, die von dem heiligen Hügel ausgingen.
    Er wandte sich um, als der Hochkönig am Rand des flachen Gipfelovals auftauchte. Sein Haar war zerzaust, die Stirn mit Schweiß bedeckt. Der Schleier des Zorns aber, der ihn noch an jenem Morgen umgeben hatte, war verschwunden. Vermutlich war seine Wut während des Aufstiegs verraucht.
    »Habt Ihr mich hierher gerufen, um mir sämtliche Königreiche der Welt und deren Pracht zu zeigen?«, fragte Artor trocken, nachdem er wieder zu Atem gekommen war. Im Norden und Süden säumten Hügel das Tal. Im Westen ließ sich der blaue Schimmer des Meeres erahnen. Im Osten fiel das Land in trübe, vom Rauch brennender Felder verhangene Fernen ab.
    Merlin schüttelte den Kopf. »Pracht sollt Ihr sehen, doch nicht von dieser Welt. Atmet tief ein, diese Luft entstammt in reinster Form den Höhen des Himmels.«
    »Cador und Oesc leben in dieser Welt«, entgegnete Artor wütend.
    »Atmet!« Merlins Stimme gebot Gehorsam.
    Die Luft, die der König eingesogen, um zu widersprechen, wurde wortlos ausgestoßen. Abermals atmete er ein, diesmal langsamer; seine Augen weiteten sich.
    »Was ist das? Ich fühle ein Prickeln, und winzige Funken erfüllen die Luft!«
    »Seht mich an«, forderte der Druide ihn auf.
    »Ein strahlender Schleier umgibt Euch«, flüsterte Artor kurz darauf.
    »Und nun blickt auf das Land…«
    Diesmal hielt die Stille länger an. Bebend verharrte der König mit weit aufgerissenen Augen und verschwommenem Blick.
    »Was seht Ihr?«
    »Licht«, lautete die Antwort. »Mit jedem Atemzug flutet Licht durch das Gras, die Steine, die Bäume.«
    »Leben«, berichtigte ihn der Druide. »Es ist der Geist, den Ihr wahrnehmt, der wie ein Wind alles durchströmt, was ist.«
    »Auch die Sachsen?«
    »Sogar sie, obwohl sie es nicht spüren. Wer dieses Geheimnis begreift, ist Teil des Landes. Dies ist die Macht, die Euch den Sieg bescheren wird.«
     
    In der Nähe stöhnte jemand. Oesc erwachte, roch Pferde, geronnenes Blut und den Rauch eines Wachfeuers, und er wusste, dass er bei Aelles Armee lagerte. Der Stöhnende musste Guthlaf sein, ein Krieger seiner Hausgarde, dem ein Pfeil das Bein durchbohrt hatte. Aber er würde überleben, und sie hatten die Schlacht für sich entschieden. Mühsam drehte er sich um und zuckte zusammen, als seine steifen Muskeln schmerzten, dann blickte er empor, wo die Sterne durch einen hohen Wolkenschleier funkelten. Die Götter hatten ihren Feldzug mit gutem Wetter gesegnet, und er selbst war mit nur wenigen kleinen Wunden aus dem Kampf hervorgegangen.
    Aber er fühlte sich todmüde. Er versuchte, sich zu erinnern, wie es sich anfühlte, in einem richtigen Bett zu schlafen, mit der zarten Wärme einer Frau an der Seite. Oesc hatte kaum mehr als ein Jahr mit Rigana gelebt – eine viel zu kurze Zeit, um ein Leben voller Einsamkeit aufzuwiegen. Lebt sie überhaupt noch? Lebt das Kind noch? Bei Tag gelang es ihm, sich einzureden, dass Cador keinen Grund hatte, sie zu töten. In den dunklen Stunden der Nacht jedoch stellte er sich vor, dass er sein Leben lang um sie würde trauern müssen.
    Selbst wenn Cador sie ihm morgen zurückgäbe, konnte Oesc die Eide nicht brechen, die ihn an den Krieg banden. Dies war das Los, das ihn in Albträumen heimsuchte. Ob lebendig oder tot, wie könnte Rigana ihm je verzeihen, dass er sie nicht gerettet hatte? Er hatte gewollt, dass ihre Ehe zwei Völker in Harmonie miteinander verbinde; stattdessen hatte sie zu einem neuen, noch zerstörerischeren Krieg geführt.
    Der Gedanke, dass Cador sein Tun mittlerweile ebenfalls bedauern musste, war ein kläglicher Trost. Einer von Ceredics Kriegern prahlte damit, den dumnonischen Fürsten aus dem Sattel geschlagen zu haben. Zwar hatten die Briten ihren Anführer in Sicherheit gebracht, doch es würde lange dauern, ehe Cador wieder kämpfen konnte. Nach mehreren Vorgeplänkeln waren die

Weitere Kostenlose Bücher