Britannien-Zyklus 02 - Die Herrin der Raben
wurde, und er ist der Erbe Hengests, der uns in dieses Land gebracht hat!«
»Er hat noch nie Männer in einer Schlacht angeführt«, wurde ein Einwand laut.
»Aber wird Ceredic seine Herrschaft aufgeben, nachdem der Krieg vorüber ist? Er will über uns alle herrschen!«
»Oesc wird zu überhastet gegen Cador vorgehen und zu milde gegen Artor.«
Streitgespräche entflammten überall auf der Weide. Die Briten waren mächtig geworden, weil sie einem Hochkönig gehorchten. Wer, fragte sich Oesc, konnte den Bund dieser stolzen, heißblütigen, unabhängigen Krieger befehligen, die sich hier versammelt hatten?
Oesc schwieg, während weiter gestritten wurde. Er wollte seine Frau zurück, aber wollte er auch herrschen? Artor hat den Königsthron im Alter von fünfzehn Jahren errungen, indem er ein Götterschwert aus einem Stein zog. Soll auch ich die Götter ins Spiel bringen und den Speer im Kampf einsetzen?
Er lächelte grimmig, als er sich daran erinnerte, wie selbst seine eigene Hausgarde erblasst war, nachdem sie erkannt hatte, was das lange, in Tücher gehüllte Bündel aus Haedwigs Hütte enthielt. Zu jener Zeit schien es angebracht, den Speer mitzubringen, doch er wusste, dass er kein Symbol der Herrschaft darstellte, auch wenn er dem Gott der Könige gehörte. Wofür immer er diesen Speer im Zuge dieses Feldzugs einsetzen würde, er würde ihn nicht zum Oberkönig aller Sachsen machen.
Oesc war nicht sicher, ob irgendjemand hier den Titel für sich beanspruchen könnte. Die Briten waren an Hochkönige und Kaiser gewöhnt, doch kein Caesar hatte je die Völker Germaniens geeint. Bisweilen schien ihm, dies käme einer Umkehr ihres Wesens gleich. Germanischen Kriegsführern, die Ambitionen auf kaiserliche Befehlsgewalt entwickelten, schien stets ein übles Ende beschieden.
Je mehr die Gemüter sich erhitzten, desto lauter wurden die Stimmen. Wenn es so weiterginge, würde das sächsische Bündnis nicht lange genug halten, um die Briten zur Schlacht zu zwingen. Aelle blickte am anderen Ende des Tisches nachdenklich drein, als hätte er all das schon zuvor gehört.
Verflucht seien sie alle!, dachte Oesc. Blanke Wut toste in ihm. Unvermittelt stand er auf; als niemand es zu bemerken schien, sprang er auf den Tisch. Teller tänzelten, Essen flog umher, doch er behielt das Gleichgewicht. Er verlieh der Stimme Kraft, wie Andulf es ihn gelehrt hatte, und rief: »Haltet ein!«
Als der Lärm verebbte, fuhr er fort:
»Ihr zankt wie Hunde, während ein anderer Rüde die Hündin verschleppt. Ich will meine Frau zurück, und ich will Cadors Kopf. Mir ist gleich, wer uns anführt, solange wir gewinnen. Wir brauchen jemanden mit Erfahrung und mit Befehlsgewalt, die anerkannt wird. Bis dieser Krieg vorüber ist, unterstelle ich mich und meine Krieger Aelle von den Südsachsen!«
Ein Raunen ging durch den Saal wie Wind in den Bäumen. Aelle schaute auf und legte die Stirn in Falten, als wüsste er nicht recht, ob er über diesen Zug dankbar sein sollte. Oesc erwiderte seinen Blick mit grimmiger Miene. Umso besser, wenn du es nicht willst! Dann wirst du dich nicht an die Macht klammern.
»Er hat Recht«, meinte Haesta. »Es ist eine uralte Tradition unseres Volkes, einen Kriegsführer zu wählen. Aelle ist ein alter Wolf und wird uns weise anführen.«
Jeder schaute zu Ceredic, dessen Antlitz gefährlich rot angelaufen war. Doch er war selbst ein Wolf, und er spürte, dass die Stimmung der Versammlung zu seinen Ungunsten stand. Er bedachte Oesc mit einer Mischung aus Belustigung und Zorn und nickte.
»Ich stimme zu.« Er hob das Horn. »In Wodens Namen schwöre ich – ich und alle, die mir die Treue geschworen haben, werden Aelle für die Dauer dieses Krieges folgen!«
»Aelle!«, ertönte der Schrei, als weitere Hörner emporgehoben wurden. »Aelle!«
Eine Weile lauschte Aelle dem Ruf, dann erhob er sich; nach und nach verebbte das Gebrüll.
»Da ihr mich zu eurem Führer auserkoren habt, nehme ich den Ruf an.« Seine tiefe Stimme grollte durch die Luft wie ferner Donner. »Die Briten haben uns mit schönen Worten geblendet, und sie sind außerstande, sie zu halten. Eide oder Verträge bergen keine Sicherheit. Erst wenn ganz Britannien in sächsischer Hand ist, werden unsere Familien und unsere Dörfer sicher sein. Lasst uns ins Wodens Namen losziehen und kämpfen, bis der Sieg unser ist!«
»Seht, mein König, von hier aus könnt Ihr die Insel aus Glas erkennen. Wunderschön, nicht wahr?« Merlin deutete
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