Britannien-Zyklus 03 - Die Herrin von Camelot
Jesu, welche nie den kanonischen Status der vier Evangelien und der anderen Texte des Neuen Testaments erlangten. Aus dem Bedürfnis heraus entstanden, mehr über das Leben und Wirken des Erlösers zu erfahren, schmücken sie oft Episoden aus, über welche die Bibel schweigt, etwa die Kindheit des Herrn oder die Taten der Apostel. Literarisch meist von minderem Rang, haben sie dennoch einen großen Einfluss auf die Kunst und Literatur des Mittelalters gehabt.
Eine dieser apokryphen Schriften ist das Nikodemus-Evangelium, vermutlich entstanden im 4. Jahrhundert n. Chr. Es berichtet vom Prozess Jesu und der unmittelbar darauffolgenden Zeit. In ihm spielt jener Joseph von Arimathia eine wichtige Rolle, der Ratsherr, der das Grab für die Beisetzung des Leichnams zur Verfügung stellte (Mk 15,43-46). Die katholische Kirche zählt ihn deswegen zu ihren Heiligen. Nach der Apokryphe wird er unmittelbar nach Christi Grablegung ins Gefängnis geworfen. Dort erscheint ihm der auferstandene Christus, befreit ihn aus dem Kerker und bringt ihn heim in sein Haus.
Aus diesem Kern entwickeln sich im Mittelalter weitere Legenden. So heißt es, dass Joseph von Arimathia – der zum Onkel Jesu erklärt wird – ein Zinnhändler gewesen sei und bereits mit dem Jesusknaben den Weg zu den britischen Inseln gefunden habe. Nach der Kreuzigung sei Joseph ein weiteres Mal nach Britannien gefahren und habe dabei den heiligen Kelch mitgebracht. An Land angekommen, habe er seinen Stab in den Boden gestoßen, und dieser habe sofort Wurzeln getrieben. Der örtliche König, so wird weiter berichtet, schenkte ihm dort ein Stück Land, und Joseph baute darauf eine Kirche, die später zur Abtei von Glastonbury wurde. Aus dem Stab sei ein Weißdorn gesprossen, der zweimal im Jahr, im Frühling und zu Weihnachten, Blüten trage, und noch heute zeigt man an Ort und Stelle den »Glastonbury Thorn«, wenngleich das Weihnachtswunder in der modernen Kälte verdorrt ist.
Es gibt noch weitere Legenden über diesen Heiligen, die andere Gegenden zum Ziel haben. Nach gallischer Überlieferung wurde er zusammen mit Lazarus, Martha, Maria Magdalena und anderen in einem Boot ausgesetzt, das dann nach Marseille trieb. Eine andere Fassung, spanischen Ursprungs, berichtet, dass diese Gruppe nach Aquitanien gelangt sei. All dies scheinen Versuche zu sein, irgendeine Verbindung zwischen dem Evangelium und dem keltischen Lebensraum herzustellen, wovon das meiste getrost in das Reich der Legende verwiesen werden kann.
Das Gefäß der Fülle
Der Grund für diese Verbindung mag aus einer späteren Version der Nikodemus-Apokryphe hervorgehen. Das Versepos Joseph d’Arimathie des Robert de Boron (nach 1191) erzählt, dass der auferstandene Jesus den Kelch Joseph von Arimathia im Kerker überreicht habe. Als Joseph und seine Gefährten Hunger litten, wurden diejenigen unter ihnen, die nicht gesündigt hatten, auf wundersame Weise gespeist. Dieses Motiv, das sich durch die ganze Gralssage zieht, findet seine Vorstufe in den magischen Objekten der keltischen Mythologie, der nie versiegenden Schale des Überflusses und dem Kessel, der den Würdigen vom Unwürdigen zu unterscheiden weiß.
Dies hat zunächst einen ganz realen Hintergrund. Tafelgeschirr wie ein Kessel oder eine Schale waren im Altertum wie auch im Mittelalter nicht ungewöhnlich. Es galt als die vornehmste Aufgabe eines Fürsten, sein Gefolge zu ernähren, und Freigebigkeit war eine seiner hervorragendsten Tugenden. In den irischen Sagen, die im Buch von Leinster (um 1150) gesammelt sind, ist von einem Kessel, der niemals leer wurde, am Hof des Königs Conchobar die Rede. Dies entspricht im walisischen Mabinogion, einer Sammlung von Sagen und Romanzen, deren früheste Fassung im Weißen Buch Rhydderchs (um 1350) aufgezeichnet ist, dem Füllhorn des Königs Brân, aus welchem jeder »den Trank und die Speise erhielt, die man sich wünschte«. Der Kessel des Diwrnach dagegen, einer der dreizehn Schätze Britanniens, bot dem tapfersten Helden das beste Stück Fleisch, dem Feigling dagegen gar nichts.
Daneben hatte der Kessel bei den Kelten auch eine lange kultische Tradition. Seit der Hallstattzeit gehört der Bronzekessel zum beliebtesten Grabgut; kaum ein Fürst hat sich ohne einen solchen bestatten lassen. Der fünfhundert Liter fassende Bronzekessel des Fürsten von Hochdorf aus dem späten 6. Jahrhundert v. Chr. enthielt Honigmet, der vermutlich für das Fest der Anderswelt bestimmt war. Bei diesem
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