Broadway-Grusical
können, aber sie wollte ihre Mutter nicht allein lassen. Die übrigen Geschwister waren längst verschwunden, und deshalb wollte sie die hilflose Frau nicht im Stich lassen. Ein Auto besaß Liz nicht. Sie war mit der U-Bahn gefahren, und man hatte sie zum Glück nicht angemacht.
Juni in New York. Das bedeutete schon Hitze, stickige Luft, Schweiß und Abgase. Eine Stadt, die an manchen Tagen nicht nur kochte, sondern fast überlief. Auch Liz war ziemlich fertig. Sie hatte nach der Arbeit geduscht, aber die Erfrischung hielt nicht lange an. Als sie den Schacht der U-Bahn verließ, schwitzte sie schon wieder.
Liz wohnte an der Grenze zu Harlem, in einem Ghetto der Farbigen, wo auch die Armut zu Hause war. Hier regierte die Angst. Die Menschen dachten darüber nach, wie sie sich am nächsten Tag ernähren sollten, denn die Arbeitslosenquote war in schwindelerregende Höhen gestiegen, und es gab kein soziales Netz, das die Menschen hier auffing. So schlug man sich mehr schlecht als recht über die Runden. Aber Liz ging es besser. Sie hatte schon manchmal ein schlechtes Gewissen, wenn sie von der harten Probe und aus der Glitzerwelt des Broadway nach Hause kam, um in der stickigen Wohnung die Nacht zu verbringen. Das würde bald ein Ende haben. Im nächsten Monat war alles vorbei, nach der Premiere.
Liz trug eine dunkle hautenge Hose und einen weißen Kittel. Den Schal hatte sie lässig um die Schulter geworfen.
In der Straße stand noch die Hitze des vergangenen Tages. Kaum einer der Bewohner befand sich in den Wohnungen. Viele hockten vor den Häusern oder in den Türnischen. Manche saßen auch auf den Fensterbänken. Die jüngeren unter ihnen vertrieben sich die Zeit mit allerlei bösen Scherzen. Sie schlugen sich, sie suchten parkende, fremde Wagen, um ihre angestauten Aggressionen loszuwerden. Man kannte Liz, und es hatte sich auch herumgesprochen, dass sie Arbeit hatte. Einigen passte dies nicht. Sie beobachteten das Mädchen immer misstrauischer, taten ihr aber noch nichts, dafür wurden die Blicke schärfer und härter.
So auch an diesem Abend, als Liz den kurzen Weg von der U-Bahn zu ihrer Wohnung ging. »Da kommt unsere Prinzessin!« hörte sie plötzlich eine Stimme aus einer Türnische.
Liz kannte das Gesetz des Viertels. Wenn sie stehen blieb, sah der Sprecher dies als Provokation an, also ging sie weiter, und sie beschleunigte nicht einmal ihre Schritte, um sich nichts von ihrer Angst anmerken zu lassen.
Aber der Typ in der Einfahrt gab sich damit nicht zufrieden. Er schnellte geschmeidig hervor. Sein kaffeebrauner Oberkörper war nackt. Wie zum Hohn trug er noch eine Pudelmütze auf dem Kopf, und die fransigen Hosenbeine der Jeans endeten auf den schmutzigen Turnschuhen. Blitzschnell trat er dem Mädchen in den Weg und breitete seine Arme aus. Die neunzehnjährige Liz Vacarro blieb stehen und schaute ihn kalt an. Dabei sah sie auch die Griffe der beiden Messer, die in Höhe der Hüften aus dem Hosenbund hervorstachen.
»Hallo, Prinzessin, man hört ja einige tolle Sachen von dir.«
»Lass mich durch, Sugar.«
Sie nannten ihn so, weil er schon als kleiner junge Candystangen gestohlen hatte.
Sugars Babygesicht verzog sich in die Breite. In den dunklen Pupillen glitzerte es kalt. »Ein Star am Broadway sollst du werden, habe ich gehört. Toll, wirklich, einfach irre, Baby. Ich hoffe, du denkst auch mal an deine alten Freunde.«
»Lass mich durch, ich bin müde.«
»Klar, du hast es geschafft, wie?« Er lachte dreckig. »Hat dich der Regisseur auch auf die Matratze gekriegt, Süße? Hat er das? Wie ist er denn? Scharf? Schärfer als ich?«
Ein klatschendes Geräusch unterbrach die Fragerei des jungen Mannes. Zahlreiche Zeugen, die das Pärchen umstanden, hatten den Schlag ins Gesicht mitbekommen.
Sugar hielt sich die Wange und war erstaunt. Und diesen Augenblick wollte Liz zur Flucht nutzen. Aber Sugar war schneller. Schlangengleich drückte er seinen Arm vor, bekam Liz zu packen und hielt sie eisern fest. Mit der anderen Hand zog er eines seiner Messer.
»So, Prinzessin, das ist das Ende deiner Karriere. Ich verspreche es dir. Ich zeichne dich. Ich werde deine Wange aufschlitzen, damit du ein Andenken an den süßen Sugar behältst. Man macht mich nicht fertig, man schlägt mich vor allen Dingen nicht. Und dies noch vor Zeugen. So geht das nicht, Süße.«
Längst bereute Liz Vacarro ihre unüberlegte Reaktion. Eine Gesichtsnarbe konnte das Ende ihrer Karriere bedeuten. Die Klinge erschien vor
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