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Brodecks Bericht (German Edition)

Brodecks Bericht (German Edition)

Titel: Brodecks Bericht (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Philippe Claudel
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Urbi-Brunnens trennten sich unsere Wege, er verschwand in der Gasse, die zum Fluss hinunterführt.
    In meiner unruhigen Nacht hatte mich ein bestimmter Gedanke nicht losgelassen: Ich musste unbedingt mit Orschwir, dem Bürgermeister, sprechen. Er sollte mir sagen, was die Leute von mir erwarteten. Inzwischen fragte ich mich, ob ich das, was Göbbler zu mir gesagt hatte, auch richtig verstanden hatte oder ob ich das alles etwa nur geträumt hatte: dass er auf der Bank vor unserem Haus gesessen hatte, und auch die Szene im Wirtshaus, als die Männer mich drohend umringt hatten und immer näher auf mich zugekommen waren, als ich ihnen mein Versprechen hatte geben müssen.
    Orschwirs Haus ist das einzige, das unmittelbar an den Wald grenzt. Es ist auch das größte des ganzen Dorfes, und man sieht ihm den Wohlstand und die Macht seines Bewohners an, obwohl es im Grunde nur ein großer, alter Bauernhof ist, ein weitläufiges, behäbiges Gehöft mit riesigen Dächern und mit Mauern, in denen Granit und Sandstein sich in unregelmäßigem Schachbrettmuster abwechseln. Aber die Leute halten es für eine Art Schloss. Und ich bin sicher, dass auch Orschwir sich manchmal wie ein Schlossherr vorkommt. Er ist kein schlechter Kerl, obwohl er so hässlich wie eine ganze Horde Barbaren ist. Man erzählt sich, dass er ausgerechnet wegen seiner Hässlichkeit zu der Zeit, als er noch eifrig auf Bälle ging, den größten Erfolg bei den Damen hatte. Die Leute reden viel, allzu oft ohne etwas zu sagen. Fest steht aber, dass Orschwir schließlich Hilde Popenheimer, das reichste Mädchen der ganzen Gegend, geheiratet hat. Ihrem Vater gehören fünf Sägewerke und drei Mühlen. Außer diesem Erbe schenkte sie ihm zwei Söhne, die ihrem Vater wie aus dem Gesicht geschnitten waren.
    Es war nicht schlimm, dass sie ihm ähnlich sahen. Ich spreche in der Vergangenheitsform von ihnen, denn sie sind tot. Ihre Namen sind in das Denkmal eingemeißelt, das das Dorf zwischen Kirche und Friedhof errichten ließ: eine auf dem Boden kniende Frau, die in weite Schleier gehüllt ist und der man nicht genau ansieht, ob sie betet oder auf Rache sinnt. Günter und Gerhard Orschwir steht da, einundzwanzig und neunzehn Jahre alt. Auch mein Name stand einmal auf dem Denkmal, aber der Straßenwärter Baerensburg hat ihn wieder getilgt, weil ich ja zurückgekehrt bin. Das war nicht leicht für ihn. Es ist schwierig, eine Inschrift in Stein wieder zu entfernen. Deshalb kann ich auf dem Denkmal immer noch meinen Vornamen lesen. Jedes Mal muss ich darüber schmunzeln, aber Emélia schaudert es. Sie geht nur ungern daran vorbei.
    Hinter vorgehaltener Hand erzählt man sich, Orschwir verdanke sein Bürgermeisteramt dem Tod seiner Söhne; dabei hatte der Tod der beiden jungen Kerle nichts Heroisches an sich. Als sie Wache hielten, haben sie sich selbst umgebracht, weil sie wie die Kinder mit einer Handgranate spielten. Eigentlich waren sie ja auch noch große Kinder, aber sie hatten wohl geglaubt, der Krieg würde sie über Nacht zu Männern machen. Bis ins Dorf war die Explosion zu hören, es war die erste dieses Krieges. Wir rannten alle zu dem Wachhäuschen, das man an der Grenzstraße errichtet hatte, mitten auf der höchsten Stelle der Weide von Schönbehe, auf einem kleinen Hügel im Schutz eines großen, rötlichen, mit grünen Flechten bewachsenen Felsens. Es war nichts mehr übrig, weder von dem Häuschen noch von den Burschen. Der eine presste beide Hände auf den Bauch, als versuchte er seine Eingeweide wieder dahin zurückzuschieben, wo sie hingehören. Der abgetrennte Kopf des anderen sah uns aus starren Augen an. Man begrub sie zwei Tage später, in weißen Leintüchern, in vom Tischler Fixheim sorgfältig geschreinerten Eichensärgen. Das waren die ersten Toten bei uns. Pfarrer Peiper, der damals nur dem Wasser zusprach, hielt eine Predigt, in der von Zufall und Erlösung die Rede war. Nur wenige von uns verstanden ihn, aber die Leute brauchten die Worte, die er sprach, seltene, alte Worte, die er lange zwischen Säulen, Bögen, Fenstern, Weihrauchschwaden und dem sanften Flackern der Kerzen in unserer kleinen Kirche widerhallen ließ.
    Ich betrat das Anwesen, wo es zu dieser Tageszeit noch menschenleer war. Der Hof ist riesig, eine Welt für sich, eingerahmt von prächtigen Misthaufen. Den Eingang überwölbt ein großes Tor aus gedrechseltem, knallrot gestrichenem Holz, verziert mit geschnitzten Kastanienlaub-Motiven, in deren Mitte folgender Spruch zu

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