Broken Heart Vampires 04 - Cocktail mit einem Vampir
Während ich nach Luft schnappte, umklammerte ich den Stamm einer großen Eiche. Mitten in der Nacht - und dann auch noch im Winter - durch diese gespenstische Kleinstadt zu schleichen, war nun wirklich gar keine gute Idee gewesen. Vor allem, weil ich vor Angst beinahe den Verstand verlor, und zwar wegen diesem ... diesem Geheul.
Eiskalt lief es mir den Rücken rauf und runter. Was um alles in der Welt gab solche schreckenerregenden Töne von sich? Hunde waren das ganz sicher nicht. Kojoten? Wölfe? Huuh! Mich schüttelte es am ganzen Körper.
„Crystal One, Crystal One“, stieß mein Handy hervor. Ich hatte es auf Funksprechfunktion umgeschaltet. „Bitte teile deinen Standort mit.“
Ich trug dicke Handschuhe, schaffte es aber trotzdem, den Knopf zu drücken. „Also ehrlich, Mom“, flüsterte ich. „Müssen wir wirklich diese lächerlichen Kodenamen benutzen?“
„Ich hätte dich beinahe Crystal genannt.“ Ihrem Tonfall nach zu schließen, hatte sie die gegenteilige Entscheidung immer bedauert. Du lieber Gott! Als ob es noch nicht reichte, ein Kind mit dem Namen „Seraphina Liberty Windsong Monroe“ zu belasten. Sehr zu Mutters Enttäuschung fing ich mit zehn Jahren an, mich selbst nur noch Libby zu nennen. Trotzdem waren für meine Eltern Meinungsfreiheit und unabhängiges Denken das Allerwichtigste. Wenn ihr einziges Kind gern Libby genannt werden wollte, dann musste dieser Wunsch respektiert werden.
„Crystal One?“
Ich verdrehte die Augen. „Ich bin hier, Ruby Two. Ich bin noch im Wald, aber ich kann jetzt den Friedhof sehen und gehe darauf zu. Wo steckt ihr?“
„Wir sind gerade von der Hauptstraße abgebogen und gehen auf einen Laden zu, der Thrifty Sip heißt. Leider sieht es aus, als sei dieser Günstige Schluck schon vor langer Zeit aufgegeben worden. Dabei hatte Sapphire Three sich so auf seine Limo mit ganz viel Eis von ICEE gefreut.“
Ich lachte. Was Essen und Trinken anging, hatte mein Vater nur eine einzige Schwäche, nämlich diese schaumigen, bunten Getränke der Firma ICEE mit Unmengen von Zucker, die meine Mutter für das reinste Teufelsgebräu hielt. Dad hatte mal zu mir gesagt, jeder Mensch müsse sich mindestens ein gesundheitsschädliches Laster leisten. „Macht das Leben lebenswert, Peanut“, sagte er mit einem Zwinkern.
Ich drückte wieder auf den Knopf. „Irgendwelche Anzeichen von Bigfoot?“
„Keine“, erwiderte Mom. „Aber dieses Geheul klang vielversprechend. Vielleicht waren das Werwölfe.“
Schon seit einigen Monaten kursierten alle möglichen Geschichten über das Städtchen Broken Heart in Oklahoma, besonders unter jenen Experten, die paranormalen Phänomenen hinterher jagten. Die verschiedensten Gerüchte, von Sichtungen des legendären behaarten Riesenmenschen Bigfoot bis hin zu Berichten über fliegende Menschen, waren so lange in Umlauf gebracht worden, bis meine Eltern sich diesen Ort unbedingt einmal selbst ansehen wollten. Sie hatten die letzten fünfundzwanzig Jahre mit dem Versuch verbracht, die Existenz von Vampiren, Werwölfen, Engeln, Außerirdischen, zusätzlichen Dimensionen und allen möglichen anderen übernatürlichen Phänomenen zu beweisen. Oder eben von Bigfoot, der eine alte Indianerlegende war. Im Jahr 1983 gründeten sie die Paranormal Research & Investigation Services, kurz PRIS. Zwei Jahre später wurde ich geboren, und ich bin sozusagen mit dem Glauben an das Übernatürliche aufgewachsen.
Wir waren ständig unterwegs, deshalb wurde ich von meinen Eltern selbst unterrichtet. Mein Lehrplan umfasste Mathematik, Englisch, astrale Projektion und parapsychologische Phänomene. Trotzdem bestand ich den staatlich vorgeschriebenen Test, hatte damit meinen Highschool-Abschluss in der Tasche und besuchte einen Grundkurs am Institute of Transpersonal Psychology. Nach diesem einjährigen Lehrgang ging ich nach Kalifornien und schrieb mich am HCH Institute ein. Ein weiteres Jahr, eine weitere Prüfung - diesmal in Parapsychologie.
Aber solche Abschlüsse zu schaffen machte mir längst nicht so viel Spaß, wie mich durch die Sümpfe von Louisiana zu kämpfen und, zum Beispiel, nach Bayou Boo Ausschau zu halten, einem Wesen, das halb Mensch und halb Alligator sein sollte.
Mit dreiundzwanzig Jahren wollte ich unbedingt auf eigenen Beinen stehen. Es war nicht so, dass ich nicht mehr an die Träume meiner Eltern glaubte, etwas bisher Unbekanntes oder sogar etwas ganz und gar Unglaubliches
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