Brook, Meljean - Die Eiserne See
Luftschiff ist nur eine Meile entfernt. Ich habe nach einem Boot oder einer Gondel gesucht, doch entweder haben die Venezianer sie allesamt vor Jahrhunderten auf ihrer Flucht vor der Zombieseuche mitgenommen oder sie sind gesunken. Ich denke jedoch, dass die Zimmertür als Floß dienen kann – und mich trocken hält, während ich durch den Kanal paddle, wo die Luftschiffer mich gewiss sehen werden. Ich muss nur die Scharniere lösen und die Tür vom Balkon in den Kanal werfen. Wenn sie schwimmt, werde ich mich darauf hinablassen. Sobald ich die Scharniere entferne, werde ich jedoch ungeschützt sein – und ich habe keine Ahnung, wie viele Zombies im Palazzo eingeschlossen sind.
Die Nacht bricht an, und das Licht lässt nach. Ich würde gern noch mehr schreiben, aber auch mein Feuerzeug ist feucht geworden. Nun warten verrostete Eisenscharniere und ein tapferer Kampf auf mich. Was für ein Abenteuer das werden wird, Geraldine – und ich vertraue darauf, dass Du Dir einen guten Schluss für mich einfallen lässt.
In Liebe und Zuneigung,
immer Dein Wolfram
PS: Du wirst dies hier natürlich niemals lesen, denn ich werde mich durchsetzen und auf meiner Tür zum Luftschiff paddeln, wo ich das Kommando übernehmen und sagen werde, wo es langgeht. Dort angelangt, werde ich diesen Brief verwerfen und einen neuen schreiben. Verzweifle nicht, Schwesterherz! Bald wirst Du sie in den Händen halten, die Abenteuergeschichte um Archimedes Fox und das Geheimnis der Lady Corsair.
1
Yasmeen hatte noch nie Grund gehabt, mit ihrem Luftschiff das dänische Städtchen namens Fladstrand anzufahren, und dennoch war ihr Ruf ihr offensichtlich vorausgeeilt. Die ganze skandinavische Küste entlang dienten Rum-Spelunken als einzige Verteidigungslinie einer Stadt gegen Söldner und Piraten – und kaum dämmerte es, und am östlichen Horizont wurde die Lady Corsair sichtbar, da gingen hinter den Fenstern der Wirtshäuser am Hafen die Lichter an. Die Tavernen öffneten früh in der Hoffnung, vor der Mittagszeit einige zusätzliche Deniers zu machen … und die braven Bürger von Fladstrand beteten wahrscheinlich, dass Yasmeens Crew hübsch im Hafen blieb und nicht in die eigentliche Stadt hinausspazierte.
Zu ihrem Pech war die Crew der Lady Corsair nicht zum Trinken nach Fladstrand gekommen. Ebenso wenig war sie hier, um Ärger zu machen, aber Yasmeen hatte nicht vor, die Leute das wissen zu lassen. Sollten sie ruhig ein Weilchen zittern. So sicherte man sich seinen Ruf.
Aus Dämmerung war heller Tag geworden, als die Lady Corsair die Hafenmündung erreichte. Yasmeen, die hinter dem Windschutz auf dem Achterdeck stand, richtete ihr Fernrohr auf die Himmelsstürmer, die über den vereisten Kais angebunden waren. Sie erkannte jedes einzelne Luftschiff – sie dienten allesamt als Passagierfähren zu den dänischen Inseln im Osten und Schweden im Norden. In der Mitte des Hafenbeckens lagen mit eingerollten Segeln mehrere dickbäuchige Frachtschiffe vor Anker, deren hölzerne Rümpfe mit jeder Woge schaukelten. Die Himmelsstürmer kannte Yasmeen zwar, aber die Schiffe unten im Wasser konnte sie nur teilweise zuordnen. Die meisten Fladstrander lebten von der Fischerei oder der Landwirtschaft – beide Geschäftsfelder hatten nichts mit dem gemein, womit Yasmeen ihr Geld verdiente. Was immer die Frachter geladen hatten, fermentierte wahrscheinlich oder zuckte noch und interessierte Yasmeen erst, wenn es in ihre Tasse oder auf ihren Teller kam.
Als der lange Schatten der Lady Corsair über die flache, sandige Küste und die ersten Häuserreihen strich, ließ sie die Maschinen stoppen. Das Schnaufen und die Vibrationen wichen dem Flattern der sich entrollenden Segel des Luftschiffs und dem krächzenden Protest der Meeresvögel. Unten lagen die engen Kopfsteinstraßen da wie ausgestorben. Zwar zockelte eine Dampfkutsche an einem von einem Esel gezogenen Fuhrwerk vorbei, das mit Holzfässern beladen war, aber ansonsten machten die guten Leute von Fladstrand, dass sie wieder in ihre Häuser kamen, sobald sie am Himmel über sich die Lady Corsair erblickten – sie versteckten sich hinter verriegelten Türen und geschlossenen Fensterläden und hofften darauf, dass die Geschäfte, die Yasmeen in die Stadt führten, nichts mit ihnen zu tun hatten.
Sie hatten Glück. Heute suchte Yasmeen nur eine Frau: Zenobia Fox, die Verfasserin einer Reihe beliebter Romane, die Yasmeen völlig zerlesen hatte, und zugleich die Schwester eines charmanten
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