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Brook, Meljean - Die Eiserne See

Brook, Meljean - Die Eiserne See

Titel: Brook, Meljean - Die Eiserne See Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Flammendes Herz
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dem Himmel, dass sie nicht an ihre Tür geklopft hatte.
    In Zenobias Haus spähte niemand durch die Vorhänge. Die Tür ging auf, und eine hübsche blonde Frau in einem zartblauen Kleid kam zum Vorschein. Obwohl hinter Yasmeen eine Strickleiter baumelte und über der Straße ein Himmelsstürmer schwebte, warf die Frau nicht einmal einen Blick nach oben.
    Ein nicht allzu helles Hausmädchen, vermutete Yasmeen. Oder eine arme, nicht allzu helle Verwandte. Yasmeen kannte sich mit der aktuellen Mode nur wenig aus, doch selbst ihr fiel auf, dass das Kleid zwar aus gutem Stoff bestand und sauber genäht war, aber im Oberteil zu weit war und mit dem Saum auf dem Boden schleifte.
    Immerhin war die Frau helle genug, sie als Ausländerin zu erkennen. Mit breitem deutschem Akzent fragte sie auf Französisch, der üblichen Handelssprache: »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich muss mit Miss Zenobia Fox sprechen.« Yasmeen achtete darauf, dass ihr arabischer Akzent nicht durchschimmerte, damit es auf der Türschwelle nicht zu einer absurden Komödie der Missverständnisse kam. »Ist sie zu Hause?«
    Die Frau zog majestätisch die Augenbrauen hoch. »Ich bin sie.«
    Dann war das kein Hausmädchen? Das kam unerwartet. Trotz des großen Hauses und des sichtbaren Wohlstands ging Zenobia Fox selbst an die Tür?
    Yasmeen wusste Überraschungen zu schätzen; sie machten alles umso interessanter. Nie wäre sie auf die Idee gekommen, dass das große, linkische Mädchen mit den mausbraunen Zöpfen zu einem solch zarten blonden Etwas erblühen würde.
    Und ebenso wenig darauf, dass ihr erster Eindruck von der Frau, die gewitzte und aufregende Geschichten schrieb, »nicht allzu helle« lauten würde.
    So viel stand fest, Archimedes war das genaue Gegenteil gewesen. Mit seiner Schlagfertigkeit und seinem schnellen Lachen hatte er absolut ihrer Vorstellung von Archimedes Fox, Abenteurer entsprochen. In dieser Frau vermochte sie nichts von ihm wiederzufinden – weder in ihrem weichen Gesicht noch in ihren blauen Augen und ganz gewiss nicht in ihrem Auftreten.
    Die gewölbten blonden Augenbrauen wanderten noch höher. »Und Sie sind …?«
    »Ich bin der Kapitän der Lady Corsair .« Das Kopftuch, die unschicklich eng anliegenden Hosen, oben über dem Haus der Himmelsstürmer, der einmal ihrem Vater gehört hatte – war diese Frau denn auf beiden Augen blind? »Ihr Bruder ist kürzlich auf meinem Luftschiff mitgefahren.«
    »Ah ja. Wie kann ich Ihnen helfen?«
    Wie sie ihr helfen konnte? Yasmeen starrte die Frau ungläubig an. Konnte die Tochter eines Luftschiffers dermaßen behütet aufgewachsen sein? Was konnte es denn noch bedeuten, wenn der Kapitän eines Schiffes auf ihrer Schwelle stand? Jedes Mal, wenn Yasmeen bei Angehörigen eines Mitglieds ihrer Crew angeklopft hatte, war ihr Besuch prompt richtig eingeordnet worden. Ob man es leugnen wollte, ob man mit Trauer oder Zorn reagierte – alle hatten sie gewusst, was Yasmeens Kommen bedeutete.
    Vielleicht rechnete Zenobia nicht damit, weil Archimedes als Passagier nicht zur Crew gehört hatte. Aber so langsam musste die Frau den richtigen Schluss doch ziehen.
    »Ich habe betrübliche Neuigkeiten Ihren Bruder betreffend, Miss Fox.«
    Das »betrübliche Neuigkeiten« öffnete ihr wohl die Augen. Zenobia blinzelte, riss eine Hand an den Busen. »Archimedes?«
    In einem solchen Moment nannte sie ihn »Archimedes« – nicht Wolfram, obwohl sie ihn den Großteil ihres Lebens unter diesem Namen gekannt hatte? Entweder waren sie vollständig in ihren neuen Identitäten aufgegangen, oder sie schauspielerte gerade.
    Wenn es geschauspielert war, dann entwickelte sich diese Begegnung jetzt schon besser, als Yasmeen erwartet hatte. »Vielleicht können wir uns drinnen unterhalten, Miss Fox.«
    Mit einem unsicheren Lächeln trat die andere zurück. »Ja, natürlich.«
    Zenobia führte sie mit auf dem Boden schleifenden Röcken in einen Salon. Am Fenster stand ein Schreibtisch mit einem Stapel weißer Blätter. Nirgendwo wartete eine Mitschriftkugel darauf loszuklicken, und an Zenobias Fingern waren keine Tintenflecken. Sie war eindeutig nicht gerade dabei gewesen, das nächste Abenteuer um Archimedes Fox zu Papier zu bringen.
    Auf dem Kaminsims standen einige Nippsachen, die teils alt und abgenutzt, teils erdverkrustet waren – eine silberne Schnupfdose, das Miniaturbildnis einer Dame, ein Goldzahn. Alles Stücke, die Archimedes während seiner Bergungsreisen in Europa gesammelt hatte, begriff Yasmeen.

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