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Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Brother Sister - Hoert uns einfach zu

Titel: Brother Sister - Hoert uns einfach zu Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sean Olin
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Kassen und in der Küche. Müde Eltern mit quengelnden Kindern. Ältere Leute, vor allem einsame Männer, die wie Gespenster in den Ecken hockten. Alles Leute, die sich keinen Furz dafür interessierten, wer wir waren und was wir vorhatten. Alle waren unterwegs, wollten nur kurz was essen und dann möglichst schnell weiterfahren.
    Aber versuchen Sie mal, Will das klarzumachen! Praktisch unmöglich. Das Einzige, womit ich ihn vorm Hyperventilieren bewahren konnte und verhinderte, dass er über Tische und Bänke sprang und alles kurz und klein schlug, war Berührung. Ich nahm seine Hände und drückte sie, als könnte ich seine Wut damit auf magische Weise aus ihm rauspressen.
    Ich sagte: »Guck mich an, Will! Was interessieren dich die anderen? Die gehen uns nichts an. Sie sind egal. Alles, was zählt, sind wir. Du und ich. Nur wir. Wir haben uns gegenseitig, Will. Weißt du noch, was wir immer gesagt haben? ›Solange wir uns gegenseitig haben, kann uns niemand was tun. Wir, die Wunderkinder.‹ Weißt du noch, Will? Weißt du noch?«
    Ich hielt seinen Blick fest und drückte ihm die Hände, bis sie nicht mehr zitterten.
    »Alles okay, Will?«, fragte ich. »Wir sind auf der sicheren Seite. Bis wir bei Dad sind, passt du auf mich auf. Dann sind wir frei und fangen noch mal von vorn an.«
    Was ich in seinem Gesicht sah, war weniger Wut oder Hass als Angst. Eine tiefe Angst, die ich gar nicht von ihm kannte. Es kam mir vor, als hockten wir im Auge des Sturms, und solange es mir gelang, ihn da zu halten, waren wir sicher. Aber sobald ich ihn entkommen ließe und er statt mich die anderen Leute ansähe, würde der Orkan losbrechen, eine wüste Schlacht, in der wir nichts mehr unter Kontrolle hätten und immer mehr Schaden anrichteten. Meine wichtigste Aufgabe war also, ruhig zu bleiben, und obwohl das unter diesen Umständen gar nicht so einfach war, hielt ich Will in Schach. Sein Atem normalisierte sich so weit, dass er seinen Burger essen konnte. Danach konnten wir das Lokal in einem einigermaßen vernünftigen Zustand verlassen und weiterfahren.
    Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie traurig mich das machte!
    Als wir wieder auf dem Highway waren und durch die Nacht Richtung Süden rasten, fragte ich mich, was wohl ohne mich aus ihm würde. Es gab nämlich keinen, absolut keinen außer mir, der ihn erreichen, geschweige denn beeinflussen konnte.
    Wie viel schlimmer würde er wohl alles machen, wenn ich nicht bei ihm war?
    Ich überlegte, ob es überhaupt möglich war, ihn wieder in Ordnung zu bringen.
    Mehr als alles andere wünschte ich, dass er eines Tages seinen Frieden finden würde. Das wünsche ich immer noch. Ganz tief in seinem Inneren ist er nämlich ein sensibler, netter Kerl. Das ist der Will, den ich vor mir seh, wenn ich an ihn denke. Aber dieser nette Will ist von dem anderen überwuchert worden, einem Will, der den ganzen Mist, den wir erlebt haben, nur noch ertragen kann, indem er zurückschlägt.
    Ich konnte überlegen, so viel ich wollte – es gab keine Lösung. Ich wurde nur noch trauriger.
    Fürs Erste musste ich stark bleiben, so stark ich konnte, egal, wie schwer es mir fiel. Ich musste ruhig bleiben und ihn liebevoll behandeln.
    Bis wir in Mexiko waren. Bei Dad. Das war das Wichtigste.
    Dad.
    Ich musste daran denken, wie er mich als kleines Kind immer hoch über seinen Kopf geworfen hat … wahrscheinlich gar nicht sooo hoch, nur ein paar Zentimeter, aber es fühlte sich viel höher an, unendlich hoch. Es war, als flöge ich in den Himmel. Ich hab dann immer mit den Armen geschlagen, als wären es Flügel. Und wenn es wieder abwärts ging, machte mein Magen einen Satz. Ich bat meinen Dad, es wieder und wieder zu tun. Ich konnte einfach nicht genug davon bekommen. Wie er mich in die Luft streckte, losließ und dann – ganz wichtig! – wieder auffing, gab mir das Gefühl, dass es keine Rolle spielte, wie sehr mein Leben einmal aus dem Ruder laufen würde, dass er immer da sein würde, um mich im entscheidenden Moment aufzufangen.
    Er liebte uns. Er würde uns helfen. Ich wusste es einfach. Auf seine Art versuchte er es schon seit Jahren. Da war ich mir ganz sicher. Und das gab mir Kraft, die ganze lange Fahrt über. Dad liebte uns und wusste bestimmt, wie er uns beschützen konnte.

Will
    Es fing schon an, hell zu werden, als wir über die Grenze fuhren. Völlig problemlos. Jedenfalls keine Fahrzeugdurchsuchung oder so. Natürlich zogen die Grenzbeamten ihr Machoding ab, sahen uns herablassend und

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