Broughton House - Haus der Sehnsucht
hatte sich auf einem Stuhl in der Essecke zusammengerollt und sah ein Fernsehprogramm an.
Widerstrebend drehte er sich zu ihr.
Mein Sohn sieht blass aus, stellte Eleanor fest, und ihr Herz begann heftig zu pochen. Weshalb hatte sie es nicht schon heute Morgen bemerkt? Schließlich war sie seine Mutter.
„Wie geht es dir, Liebling?“, fragte sie und legte die Hand auf seine Stirn. Besonders heiß war sie nicht.
„Mir ist schlecht“, klagte Tom. „Das habe ich dir schon heute Morgen gesagt.“
Eleanor zuckte innerlich zusammen, als sie den Vorwurf in seiner Stimme hörte. Tom hatte zwar erklärt, dass er nicht zur Schule wolle, aber sie hatte es auf die Tatsache geschoben, dass es Montag war und er schlecht gelaunt war, weil er verschlafen hatte.
„Nach der Morgenandacht musste ich mich übergeben“, erzählte Tom. „Mir ist so komisch, Mum. Mein Kopf und mein Nacken tun weh.“
Eleanor wurde es ganz elend. Die Zeitungen hatten kürzlich über einige Fälle von Hirnhautentzündung berichtet.
„Und was ist mit deinen Augen?“, fragte sie besorgt. „Tun die auch weh?“
„Ja, ein bisschen.“
Eine halbe Stunde später lag Tom im Bett, und Eleanor hatte mit der Ärztin telefoniert. „Meinst du, es könnte eine Hirnhautentzündung sein?“, fragte sie Marcus ängstlich.
„Das bezweifle ich“, meinte er. „Ich habe den Verdacht, es liegt an dem blauen Montag und der ungehörigen Portion Eis, die Tom gestern statt eines Abendessens verspeist hat.“
„Was für eine ungehörige Portion Eis?“
„Deren Verpackung ich heute Morgen gefunden habe.“
Eleanor schüttelte den Kopf. „Ich weiß nicht recht. Tom sagt, seine Augen tun weh.“
„Hat er es von sich aus gesagt, oder hast du ihn danach gefragt?“, erkundigte Marcus sich.
„Ich bin deine Frau und keine gegnerische Zeugin“, fuhr sie ihn an, und er runzelte die Stirn. Doch bevor sie sich entschuldigen konnte, läutete die Türglocke.
„Das wird die Ärztin sein. Ich mache auf.“
„Sie brauchen sich nicht zu entschuldigen“, beruhigte die Frau Eleanor eine Viertelstunde später. „Ich bin selber Mutter und weiß, wie das ist. Außerdem ist es besser, sich einmal zu viel Sorgen zu machen als einmal zu wenig. Zum Glück handelt es sich diesmal nur um einen verdorbenen Magen und die Bitte um ein bisschen Aufmerksamkeit.“
Also hat Marcus recht gehabt, dachte Eleanor, während sie die Ärztin hinausbegleitete. Sie hatte sich unnütz aufgeregt, weil sie ein schlechtes Gewissen hatte. Sie war nicht zu erreichen gewesen, um Tom abzuholen. Deshalb hatte Marcus seine Arbeit unterbrechen müssen. Außerdem war sie heute Morgen so in Gedanken gewesen, dass sie nicht gesehen hatte, wie blass Tom war. Und gestern Abend hatte sie so viel zu tun gehabt, dass sie nichts von dem Eis bemerkt hatte.
Was war mit ihr los? Wo blieb die Freude am Leben, wenn sie so wenig Zeit für ihre Kinder, für ihren Mann und für sich selber hatte?
„Du hattest recht“, sagte Eleanor später kläglich zu Marcus, „Es ist nur ein verdorbener Magen. Tut mir leid, dass ich dich vorhin so angefahren habe.“
„Schon gut“, versicherte er ihr unbekümmert und lächelte freundlich. „Ich hatte vergessen, dass Mütter es nicht leiden können, wenn man ihre Urteilsfähigkeit anzweifelt.“
Was wollte Marcus damit sagen? Bezog er sich auf die Mütter im Allgemeinen, oder hatte er eine bestimmte im Sinn, zum Beispiel die Mutter seiner Tochter?
„Übrigens haben die Lassiters darum gebeten, dass wir pünktlich um acht Uhr da sind. Wann wird der Babysitter kommen?“, fragte Marcus.
Das Abendessen bei den Lassiters … Eleanor hatte es ganz vergessen und niemanden für die Jungen besorgt. Wie war das möglich? Harold Lassiter war der älteste Strafverteidiger an Marcus’ Gericht. Es hieß, dass er demnächst zum leitenden Richter berufen werden sollte.
Marcus bemerkte ihren entsetzten Blick. „Hast du es etwa vergessen?“, fragte er scharf.
„Es tut mir furchtbar leid, Marcus. Ich hatte letztes Wochenende einen Babysitter besorgen wollen. Aber dann rief Julia an und fragte, ob wir Vanessa zu uns nehmen könnten, und darüber habe ich es …“
„Ich könnte Jade fragen“, schlug Eleanor vor. „Vielleicht hat sie Zeit.“ Sie begann gerade die Nummer der Freundin zu wählen, da hörte sie Tom. „Mum … Mum, mir ist schlecht!“
Besorgt legte sie den Hörer wieder auf und eilte nach oben. Tom übergab sich heftig. Wahrscheinlich lag es nur an dem
Weitere Kostenlose Bücher