Broughton House - Haus der Sehnsucht
Liebe reichte es kaum noch.
Vorbei waren die Tage, an denen Marcus und sie den ganzen Nachmittag, den ganzen Abend und selbst noch den nächsten Morgen genüsslich im Bett verbringen konnten, wie sie es vor ihrer Heirat getan hatten. Wie hatte sie diese intimen Stunden in Marcus’ Haus oder in ihrer Wohnung genossen, wo sie ganz allein gewesen waren.
Jetzt schien es, als wären sie nie mehr allein.
Fühlte sich Marcus ebenfalls unwohl bei dem Gedanken, dass ihre Söhne unter demselben Dach wohnten, wenn er mit ihr schlief? Sie, Eleanor, konnte sich niemals völlig entspannen, sobald Vanessa zu Besuch war. Oder ging das nur den Frauen so? Oder nur Frauen mit einer beinahe erwachsenen Stieftochter?
Inständig hoffte Eleanor, dass mit Louises und Pauls Beziehung alles in Ordnung war. Sie mochte den Mann zwar nicht, aber ihre Partnerin liebte ihn. Er war ein wunderbarer Vater und widmete sich ausgiebig seinen beiden Söhnen. Das ging so weit, dass er Louise bewusst aus dieser männlichen Welt ausschloss.
Marcus kam ebenfalls gut mit Tom aus und sogar noch besser mit Gavin. Aber er widmete sich nicht ausschließlich männlichen Beschäftigungen. Außerdem war er natürlich nicht der Vater der Jungen, wie Louise neulich angemerkt hatte, als Eleanor das Verhalten der beiden Männer verglich.
Das war überflüssig und taktlos gewesen, überlegte sie jetzt und knabberte an dem Nagel ihres Zeigefingers. Als Kind hatte sie ständig die Nägel gekaut, auch noch als junge Erwachsene und als Ehefrau und Mutter. Nach ihrer Scheidung hatte sie sich fest vorgenommen, damit aufzuhören, und es war ihr gelungen. Doch jetzt, nachdem ihr Leben glücklicher und erfüllter war als je zuvor, fiel sie erneut in diese schlechte Angewohnheit.
Was ist bloß mit mir los? überlegte Eleanor. Nächsten Monat waren Marcus und sie genau ein Jahr verheiratet. An ihrem Hochzeitstag war sie so glücklich, so optimistisch und zuversichtlich gewesen.
Sie hatte nicht geahnt, wie schwierig es werden würde, Marcus’ und ihr Leben auf einen Nenner zu bringen. Und nicht nur ihr Leben, sondern auch das ihrer Kinder.
Das Telefon läutete, und Eleanor nahm den Hörer ab. Sie lächelte unwillkürlich, als sie Marcus’ Stimme hörte.
„Darling, was für eine schöne Überraschung!“
„Eleanor kannst du gleich nach Hause kommen? Die Schule hat angerufen. Tom geht es nicht gut. Ich fahre hin und hole ihn ab. Aber anschließend wird er bestimmt nach dir fragen.“
„Was ist mit Tom los?“
„Keine Sorge. Ich bezweifle, dass es sich um etwas Ernstes handelt. Sonst hätte man einen Arzt gerufen und nicht mich verständigt. Das Sekretariat hat versucht, dich zu erreichen, erhielt aber die Auskunft, du wärest in einer Konferenz.“
Die Schule musste angerufen haben, während sie mit Pierre Colbert gesprochen hatte. Bildete sie es sich nur ein, oder lag ein leichter Vorwurf in Marcus’ Stimme? Sie wusste, wie sehr er es verabscheute, bei der Arbeit gestört zu werden. Schließlich war sie Toms Mutter.
Eleanor stand auf, nahm ihren Mantel und eilte ins Vorzimmer. Claire war nicht da. Deshalb klopfte sie kurz bei Louise an und trat ein.
Ihre Partnerin telefonierte gerade. „Nein, ich habe es ihr noch nicht gesagt. Ich hatte nicht …“ Erschrocken sah Louise auf und errötete ein wenig, sobald sie Eleanor bemerkte. „Ich muss jetzt Schluss machen“, sagte sie rasch in den Hörer.
„Tut mir leid, dich zu stören“, begann Eleanor. „Ich muss sofort weg. Tom geht es nicht gut. Er ist von der Schule nach Hause geschickt worden. Zum Glück habe ich heute keine weiteren Termine.“
Louise hört schon wieder nicht richtig zu, stellte Eleanor fest. Das Gesicht ihrer Partnerin war immer noch gerötet, und sie mied ihren Blick. Zu jedem anderen Zeitpunkt hätte Eleanor sich nach dem Grund erkundigt. Doch die Sorge um Tom und ihr schlechtes Gewissen, dass sie die ersten Anzeichen einer Krankheit heute Morgen vielleicht nicht erkannt hatte, waren größer.
Ungeduldig fuhr sie nach Hause und schloss mit zitternden Fingern die Tür auf. Leise rief sie nach Marcus.
„Ich bin hier“, antwortete er und kam aus seinem Arbeitszimmer. „Wo ist Tom?“, fragte Eleanor und blickte zur Treppe hinüber. „Er ist in der Küche“, sagte Marcus.
„In der Küche?“ Verärgert sah Eleanor ihren Mann an. Ob er auch so gelassen geblieben wäre, wenn es sich um seine Tochter gehandelt hätte? Rasch verdrängte sie den Gedanken und eilte zu ihrem Sohn.
Tom
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