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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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Fingerabdrücke vom Lenkrad und vom Gangschaltungsknüppel, stieg aus und öffnete die Tür zum Laderaum. Rashid stank tatsächlich noch mehr als ich. Er war mit Klebeband verpackt wie eine Mumie, nur seine Nasenlöcher lagen frei. Mit Hilfe meines Taschenmessers löste ich als Erstes das Klebeband über seinen Ohren.
    »Keine Angst. Ich bin’s, Kayankaya. Sie sind in Sicherheit.«
    Er versuchte, irgendwas zu sagen. Mit einem Ruck riss ich ihm das Band vom Mund. Hautfetzen und Bartstoppeln kamen mit runter, und an mehreren Stellen sickerte Blut aus den Wangen. Er stöhnte auf vor Schmerz und fing an zu weinen.
    »Danke…«
    »Tut mir leid, Ihre Augen muss ich noch einen Moment verbunden lassen. Zu Ihrer eigenen Sicherheit. Sie sollen den Wagen nicht sehen, mit dem wir hergekommen sind. Es ist der Wagen der Entführer. Je weniger Sie wissen, desto besser.«
    Und zwar für mich.
    Dann begann ich, seinen Körper auszuwickeln. Anfangs konnte er Arme und Beine nur mühsam bewegen. Anschließend führte ich ihn die Straße hinunter zu einer Hofeinfahrt, dort löste ich behutsam das Klebeband von den Augen.
    Er blinzelte, »O mein Gott!«, und schaute sich verwirrt um. Dann breitete sich ein Lächeln über sein Gesicht, plötzlich lachte er auf, fiel mir um den Hals, küsste mich auf die Wangen und rief: »Danke, vielen, vielen Dank! Es war die Hölle! Diese Schweine!«
    Er drückte mich fest. Als er von mir abließ, lächelte er immer noch, guckte aber auch leicht verunsichert. »Entschuldigung, aber – stinken Sie so oder ich?«
    »Ich denke, wir brauchen beide eine Dusche. Einer der Entführer hat mir zum Spaß ein paarmal in den Magen getreten.«
    »Und ins Gesicht geschlagen, das sieht ganz schön geschwollen aus.«
    »Hm-hm. Wie hat man Sie behandelt?«
    »Ach…« Er hob die Schultern. »Also, misshandelt hat man mich nicht, jedenfalls nicht körperlich. Bis auf den Schlag bei der Entführung vor dem Restaurant Ihrer Frau natürlich. Ich hatte genug zu essen, zu trinken, ein Bett, einen Fernseher. Allerdings… Die Männer waren vermummt, und wenn sie was gesprochen haben, dann nur auf Türkisch. Da habe ich ihnen noch so oft erklären können, dass ich ihre scheiß Sprache nicht spreche – ’tschuldigung.«
    »Kein Problem.«
    »Und dann die Gebete. Dafür kamen sie jedes Mal in mein Zimmer, und ich musste mitmachen. Einmal, als ich mich geweigert hatte, mit vorgehaltener Pistole! Das war alles so gruselig! Dabei… Also, ich hatte nie das Gefühl, dass es ihnen wirklich um Religion ging. Verstehen Sie? Ich meine, um irgendeine Art religiöser Umerziehung. War natürlich mein erster Gedanke wegen des Romans. Aber dann… In den ganzen fünf Tagen hat keiner mit mir über meine Arbeit gesprochen. Jedenfalls nicht in einer Sprache, die ich verstehe. Dabei haben sie mich doch wohl nur deshalb entführt…« Er schien kurz zu überlegen, dann schüttelte er den Kopf und sagte laut und voller Verachtung: »Solche Arschlöcher!«
    Ich klopfte ihm auf die Schulter. »Sie haben’s geschafft. Ich habe Frau Lipschitz heute Morgen angekündigt, dass, wenn alles gutgeht, Sie heute Abend freigelassen werden. Sie hat Ihnen ein Zimmer im ›Frankfurter Hof‹ gebucht und wartet dort mit Ihrem Verleger auf uns. Ist gleich um die Ecke. Wollen wir hingehen?«
    Er schaute ein bisschen erstaunt. »Das ist aber nett.«
    Auf dem Weg sagte ich: »Im Hotel müssen wir noch schnell den Text besprechen, der an die Presse geht.«
    »Welchen Text?«
    »Das war die Bedingung für Ihre Freilassung. Die Gruppe, die sie entführt hat, will wohl erst mal nur aller Welt zeigen, dass es sie gibt. Sie nennen sich ›Die zehn Plagen‹.«
    »Was?! Wie bei Breitel!«
    »Tja.«
    »Das ist ja ein Ding! Und ich war sicher, er hat den ganzen Kram bloß erfunden.« Er überlegte. »Aber jetzt, wo ich frei bin… Ich meine, warum sollten wir die Forderungen der Entführer jetzt noch erfüllen?«
    »Denken Sie mal drüber nach.«
    Das tat er, und wir gingen stumm nebeneinander her.
    Kurz vorm Eingang zum ›Frankfurter Hof‹ sagte er: »Wissen Sie, was ich nicht verstehe? Das Mädchen, der Lockvogel – wie kommt eine streng religiöse Gruppe an so eine Super-Lolita.«
    »Na ja, wahrscheinlich gemietet.«
    »Sie meinen, eine Hure?«
    Ich nickte.
    »Eine Hure! Verdammt! Ich schreibe zwar über solche Milieus, aber ehrlich gesagt: Ich hasse…«
    »Vorsicht«, unterbrach ich ihn, »beleidigen Sie meine Frau nicht.«
    »Was…? Wieso…?«
    Wir erreichten

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