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Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition)

Titel: Bruder Kemal: Ein Kayankaya-Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jakob Arjouni
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falschspielen würde. Schließlich war er, soweit ich es beurteilen konnte, kein Geistlicher, sondern ein professioneller Gangster. Es gab eigentlich nur einen Fall, dessen möglicher Eintritt mir Sorgen machte: ein auf Rache sinnender Abakay.
    »…Kemal Fotzensohn! Komm raus, du Penner! Kleine Pipischwuchtel! Hol dir deinen scheiß Dichter!… Hey!«
    Ich nahm an, es war derselbe weiße Lieferwagen, der am Samstagabend vor der Weinstube gestanden hatte. Abakay hatte ihn vor kaum zwei Minuten mit Schwung über den Bordstein und auf den Kiesplatz gefahren. Nun stapfte er mit breiten, wütenden, leicht torkelnden Schritten auf und ab, rauchte mit der linken Hand hektisch eine Zigarette und brüllte in die Nacht. Die rechte Hand steckte in der Seitentasche seiner Lederjacke, und er gab sich keine Mühe, zu verbergen, dass sie eine Pistole hielt, so spitz stach der Lauf heraus.
    Ich wartete, ob noch jemand Weiteres aus dem Lieferwagen stieg, doch Abakay wollte anscheinend allein mit mir abrechnen. Rashid, nahm ich an, lag gefesselt und geknebelt im Laderaum.
    »…Kemal ohne Eier, wo bist du, du feige Sau! Willst deine kleine Schriftsteller-Heulsuse nicht mehr?!«
    Vermutlich hatte er sich mit Koks ordentlich in Angriffslaune geschnupft. Beim Fußball hätte man gesagt, er wirkte übermotiviert.
    Schließlich trat ich aus dem Schatten des Türmchens. Meine rechte Hand steckte ebenfalls mit Pistole in meiner Jackentasche.
    »Hallo, Abakay. Der elegante Ausdruck – man merkt doch gleich, dass man es hier mit einem sozial engagierten Feingeist zu tun hat. Was macht die Fotokunst?«
    Er war stehen geblieben, stutzte, dann mit übertrieben aufgerissenem Mund und wegwerfender Handbewegung: »Ach, du Pisser!«
    »Wo ist Rashid?«
    »Na, wo soll er schon sein? Hinten im Wagen. Hat sich vor Angst vollgeschissen, ist das ein Gestank!«
    Wir standen etwa zehn Meter voneinander entfernt. Abakay schnippte seine Zigarette in den Kies, schwankte dabei, schimpfte: »Total widerlich!«, und zog geräuschvoll die Nase hoch. Er machte einen ziemlich desolaten Eindruck, wahrscheinlich hatte er zum Koks jede Menge getrunken, und ich beging den Fehler, zu glauben, ihm nüchtern geistig wie körperlich überlegen zu sein. Nicht mal die Pistole in seiner Jacke machte mir wirklich Angst. Der Lauf zeigte überall hin, nur nicht auf mich. Abakay wirkte, als würde er jeden Moment zusammenbrechen.
    Ich hatte zu lange nicht mehr in üblen Absteigen verkehrt. Jede zweite Kneipenschlägerei lief nach diesem Muster: Der sturzbetrunkene Typ fiel fast vom Barhocker, und irgendjemand sagte: Komm, Alter, zisch ab, du hast genug. Und plötzlich konnte der Betrunkene mit dem Barhocker Dinge anstellen… Ihn zum Beispiel dem Nächstbesten auf den Kopf dreschen oder ihn ins Flaschenregal hinter der Theke schleudern. Und dann warfen sich vier oder fünf Männer auf ihn und mussten feststellen, dass sie den Betrunkenen in seiner unbändigen Wut nicht unter Kontrolle bekamen.
    Und genau das passierte mir. Ich hatte vergessen, dass noch so viel Koks und Alkohol nicht dazu führten, dass einer zu keiner Explosion mehr fähig war. Und Abakay explodierte! Auf einmal sprang er schreiend mit wilden, großen Schritten auf mich zu, riss dabei die Pistole aus der Jacke und schoss in die Luft, und ehe ich meine Pistole auch nur in seine Richtung bewegen konnte, knallte mir sein Knauf mitten ins Gesicht. Ich fiel hintenüber und spürte, wie mir das Blut aus der Nase schoss. Im gleichen Moment trat mir Abakay mit seinen schwarzen Cowboystiefeln erst die Pistole aus der Hand und dann mit zwei angedeuteten Tanzschritten Anlauf mit voller Wucht in den Magen. Ich kotzte.
    »Hey, Kayankaya, altes Sackgesicht! Nicht mehr der Schnellste, was?! Weißt du, was ich jetzt mache? Ich mach dich so fertig, wie du mich fertiggemacht hast – fair, oder? Nicht mehr und nicht weniger. Weißt du, wie meine Brust aussieht? Wie ’ne scheiß geometrische Zeichnung!«
    Ich lag gekrümmt im Kies und konnte den Blick gerade so weit heben, dass ich das Messer sah, das er aus dem Stiefel zog.
    »Nein!« Ich wollte schreien, aber es kam nur ein Röcheln.
    »Nein? Was heißt hier nein, du Wichser…?« Diesmal trat er mir in den Unterleib, und ich schrie gleichzeitig auf und pinkelte mich voll.
    »Na, na, na – weißt du nicht? Bevor man aus dem Haus geht, immer noch mal besser schnell auf die Toilette. Und das war noch gar nichts – weißt du, dass meine Eier immer noch geschwollen sind? Der

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