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Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)

Titel: Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Tilman Janus
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Doch ich konnte ihn nicht vergessen.
    Hunderte von Menschen bewegten sich über den weiten Vorplatz. Viele Männer trugen lange Galabiyas mit Turban, dunkler Kappe oder bunter Mütze. Die Frauen waren entweder von Kopf bis Fuß verhüllt oder ganz europäisch gekleidet. Sie alle schoben auf wackligen Gepäckkarren hoch aufgetürmte, prähistorische Koffer, Pappkartons und Plastiksäcke vor sich her.
    Endlich entdeckte ich im Gewimmel Karím. Er lief winkend auf mich zu. Meine verwundete Seele klammerte sich an seinen vertrauten, tröstlichen Anblick. Karím war klein und drahtig. Sein Gesicht wirkte gutmütig, weich und trotzdem sehr klug. Er war etliche Jahre älter als ich, aber man sah es ihm kaum an. Ich umarmte ihn viel leidenschaftlicher, als es in einem arabischen Land zwischen Männern erlaubt ist, ging etwas in die Knie und drückte ihm meine Erektion fest an den Schritt.
    Er sah mich aus seinen dunklen Augen zärtlich und voller Vorfreude an. »Wie geht es dir, Hagen?«, fragte er höflich auf Englisch.
    »Schlecht«, gab ich zurück. »Zu lange geflogen – und nur weibliches Kabinenpersonal.«
    Karím lächelte. »Narima lässt dich grüßen. Sie hat mir heute Abend freigegeben, damit ich dir Kairo bei Nacht zeigen kann.«
    »Grüße deine phantastische Frau zurück und sag ihr, dass ich hauptsächlich wegen Kairo bei Nacht hierher komme und dass mir das wissenschaftliche Kolloquium gestohlen bleiben kann.«
    »Vielen Dank! Trotzdem fängt das Kolloquium morgen an. Außerdem ist eine Exkursion nach Abydos geplant, aber ich habe immer noch keine Ahnung, ob der Bus frei sein wird. Du weißt ja, wie schwierig hier alles ist. Ich bin froh, wenn ich überhaupt mein kümmerliches Gehalt bekomme.« Er fuhr mit der Hand wie in Verzweiflung durch sein dichtes, krauses, schwarzes Haar.
    »Armer Karím! Hast du mein übliches Hotel buchen können?«
    »Wie immer, dein Stammhotel an der Ramsesstraße mit standardmäßiger Küchenschabe, und wie immer ein Doppelzimmer zum dreifachen Preis. Ich kann es nicht ändern. Sonst hätte ich gar kein Zimmer bekommen.«
    »Also alles bestens. Karím, ich möchte mich bedan-« Ich wurde von einer Schar Schulkinder unterbrochen, die lautstark einen Huldigungschor auf den Staatspräsidenten Sadat einübten. Endlich konnte ich weitersprechen: »Karím! Dein Geschenk! Es war ... es war so wundervoll …«
    »Es war nur eine Kleinigkeit, Hagen«, fiel Karím rasch ein. »Du weißt ja, die meisten ägyptischen Altertümer verlassen unser Land auf illegalen Kanälen, zum Beispiel in Postpäckchen.«
    Ich legte ihm den Arm fest um die Schultern.
    Karím fuhr mich in seinem schrottreifen Landrover zum Hotel. Für eine Fahrt durch Kairo waren vor allem gute Nerven und eine intakte Hupe wichtig. Wir ratterten an hässlichen, abgeblätterten Villen und dürftigen Palmen vorbei, an Elendsvierteln mit baufälligen Ruinenresten und Gerümpelhaufen, auf denen Horden von Kindern und Ziegen herumkletterten. Dann gab es wieder Straßen mit dichtestem, stinkendem Autoverkehr, gespickt mit Maultierkarren und Reiteseln. Alles versank in Sand, Staub und Unrat.
    In der Ramsesstraße waren Pomeranzenbäume gepflanzt, auf denen Scharen von Sperlingen lebten. Darunter standen Männer, die wahllos in die Baumkronen schossen. Die Vögel saßen so dicht, dass immer einige von ihnen getroffen wurden und als kärgliche Mahlzeit tot herabfielen. Es gab niemanden, der ihnen kleine Reisigkreuze errichtete.
    »Ich hole dich nachher ab«, sagte Karím. »Wir fahren nach Gizeh heute Abend.«
    »Gizeh … wir treffen uns lieber dort, Karím, an der Straße vor dem großen Sphinx. Ich möchte mir die Pyramiden noch einmal ansehen. Wenn das Kolloquium erst angefangen hat, ist bestimmt keine Zeit mehr dafür.«
    »Wie du meinst«, gab Karím seufzend zurück. »Aber falls du hineingehen willst, verlang nicht von mir, dass ich mitkomme.«
    Ein Geschenk für Mutter. Ich brauchte ein anderes, ein richtiges Geschenk. Ziellos lief ich über den großen Basar, den Soukh Khan el-Khalili, vorbei an Teppichhändlern, an Handwerkern, die lärmend auf Messinggeschirr einhämmerten, vorüber an den ratternden Nähmaschinen der Lederhändler, sprang über Kehrichtpfützen und wich abgeschabten Maultieren aus. Ich ertrug den Gestank nach verdorbenem Fisch und Kot und wandte den Blick ab von den Fleischständen, an denen die abgehackten Köpfe von Schafen hingen und die blutigen Körperteile der Geschlachteten schwarz vor Fliegen

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