Bruderherz. Eine ägyptische Liebe. (German Edition)
Schebet-Stöcken und Keulen,
zum Land Kusch mit Palmenruten,
zu den Bergen mit Peitschen,
zu den Tälern mit Knüppeln.
Nicht werde ich ihren Rat befolgen,
von meiner Liebe zu lassen.
Am nächsten Morgen erwachte ich sehr zeitig. Stechmücken und höllischer Autolärm hatten mich nur schlecht schlafen lassen. Seit Sonnenaufgang kam das ohrenbetäubende Tschilpen der Pomeranzen-Sperlinge dazu.
Ich erreichte lange vor dem Beginn des Kolloquiums das Ägyptische Museum. Nachdem ich den Angestellten am Eingang reichlich Bakschisch in die Taschen gesteckt hatte, ließen sie mich vor der offiziellen Öffnungszeit hinein. Ich schritt rasch vorüber an zusammengepferchten Sphinxen, Königsstatuen und allen möglichen anderen Altertümern und stieg hinauf zu den Grabschätzen des Tutanchamun. Ich betrachtete die Statue des blutjung gestorbenen Pharaos als Osiris mit schwarzer Haut und goldener Kleidung, den Sarg aus reinem Gold und die goldene Mumienmaske. Ich sah die wundervollen, zauberischen Augen, eingelegt mit Karneol und Lapislazuli. Die Augen, die an den äußeren Winkeln leicht abwärts geschwungen waren – Ascans Augen.
Wofür hatte ich eigentlich die ganze Zeit gelebt? Für eine Stunde im Jahr mit Karím in der Wüste? Oder für einen züchtigen Abend jährlich mit meinem Bruder am Esstisch? Oder für meine nächtlichen Träume von Ascan, die meistens so endeten wie die Wirklichkeit, abgewiesen, verstoßen, verbrannt und todeswund? Ich nahm die kleine, scheußliche Plastikmumie aus meiner Jacketttasche, legte sie auf den Boden und trat darauf, dass das Knirschen des Püppchens mir grässlich in den Ohren klang. Ich ballte die Fäuste. Am liebsten hätte ich die schwächliche Vitrine zerschlagen und die weltberühmte Goldmaske unter meinen Schuhen zertreten.
Plötzlich war Karím da. Mein lieber, rettender Engel.
»Ich hörte so ein merkwürdiges Geräusch eben«, sagte er und sah mich fragend an. »Ich wusste gar nicht, dass du schon so früh hier bist.«
Beschämt schob ich die zertretene Puppe mit dem Fuß unter einen Schaukasten. Karím sagte nichts. Er nahm mich mit in sein Büro nahe dem Kolloquiumsraum, gleich hinter der Goldkammer. Ich setzte mich neben seinen Schreibtisch, während er noch seine Unterlagen ordnete.
»Hagen«, meinte er dabei, »hast du schon einmal mit dem Gedanken gespielt, für eine Zeit in Ägypten zu leben?«
Ich sah ihn nicht an, schüttelte nur den Kopf.
»Es wird hier ein neues Projekt über die Gräber im Tal der Könige angeleiert. Du würdest bestimmt von deinem Ägyptologischen Seminar abgeordnet werden, wenn du dich darum bewirbst. Das Projekt läuft über mehrere Jahre.« Er machte eine Pause und fuhr dann leiser fort: »Es wäre so schön, wenn du immer hier wärest …«
Langsam hob ich den Kopf. Sein Blick umfing mich mit liebevoller Wärme. Karím, mein einziger Freund. Warum eigentlich nicht für ein paar Jahre nach Ägypten gehen? So oft ich wollte mit Karím zusammen sein. Fort von allem, das mich an Ascan erinnerte. Fort von Ascan. Ein brennender Schmerz durchzog meine Brust. Auch wenn ich nur seinen Schatten einmal im Jahr zu sehen bekäme … niemals konnte ich fortgehen.
»Ich überlege es mir«, murmelte ich.
»Osiris wurde am ersten der fünf Epagomenen des Jahres geboren und wurde sofort zum König der Welt, wie wir aus den Quellen der Texte ...«
Ich versuchte, lautlos auszuatmen, um den Kollegen bei seinen Ausführungen nicht mit Seufzern zu stören. Zum ersten Mal hatte ich Schwierigkeiten, mich auf die wissenschaftlichen Vorträge zu konzentrieren.
Ich sehnte die Mittagspause herbei, doch als es so weit war, hatte ich keinen Appetit und bestellte nur einen Karawanentee. Karím kam erst nach einer längeren Verzögerung in das Restaurant, wo wir verabredet waren. Er war vollkommen außer Atem.
»Entschuldige meine Verspätung«, sagte er etwas heiser und nahm neben mir an dem Zweiertisch Platz. »Du musst etwas essen«, meinte er nach einer Weile fürsorglich.
»Ich habe keinen Hunger.«
»Hast du über das Projekt nachgedacht?« Er sah mich prüfend an.
»Ja … aber ich glaube, ich kann nicht weggehen aus Berlin. – Verletzt es dich?«
Er lächelte. »Nein. Du hattest ihn schon im Herzen, als wir uns kennenlernten – und ich habe Narima. Ich glaube, wir beide haben uns nichts vorzuwerfen.«
»Danke!«
Er zögerte, dann fragte er mit gesenkter Stimme: »Wenn … dein Bruder dich lieben würde – wärest du dann noch mit mir
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