Bruderkampf
Händedruck vereint, den keiner lösen wollte. Dann sagte Bolitho: »Kommen Sie ins Arbeitszimmer, Thomas. Ein gutes Feuer wartet.«
Herrick ließ sich in einen tiefen Ledersessel fallen. Seine Augen wanderten über die alten Porträts an den holzgetäfelten Wänden.
Bolitho musterte ihn ernst. »Ich freue mich, daß Sie gekommen sind, Thomas. Ich freue mich mehr, als ich sagen kann.« Er wirkte nervös und unruhig.
»Wie mir alles wieder vor Augen steht, wenn ich hier sitze«, sagte Herrick. »Vor dreizehn Monaten haben wir in Falmouth Anker gelichtet und sind zusammen nach Westindien gesegelt.«
Er schüttelte traurig den Kopf. »Und nun ist alles vorbei, der Friede ist in Versailles unterzeichnet. Es ist zu Ende.«
Bolitho blickte ins Feuer. Der Widerschein der Flammen spielte über sein dunkles Haar und seine grauen Augen. »Mein Vater ist tot, Thomas.« Er hielt inne, als Herrick sich hastig aufrichtete. »Und auch mein Bruder Hugh.«
Herrick brachte lange kein Wort über die Lippen. Er hätte gern etwas Tröstendes gesagt, das den Schmerz, der in Bolithos Stimme schwang, lindern konnte. Mühelos versetzte er sich um Monate zurück, an den Tag, an dem die zerschossene Phalarope mit Schlagseite zur Reparatur nach Antigua kroch. Herrick wußte, daß man Bolitho die unverzügliche Heimfahrt nach England und ein besseres und bedeutenderes Kommando angeboten hatte. Statt dessen blieb er auf der Fregatte, überwachte die Ausbesserungsarbeiten und kümmerte sich um die Verwundeten und Kranken der Besatzung. Der Oktober kam heran. Obwohl die Wiederinstandsetzung erst halb vollendet war, beorderte man die Phalarope nach England. Die >Battle of the Saintes<, wie sie bald genannt wurde, war die letzte große Schlacht des unseligen Krieges gewesen. Als die Fregatte in Spithead Anker warf, erklangen in England die Friedensglocken.
Es war eine unbefriedigende Übereinkunft, aber England hatte den Krieg zu lange aus der Defensive führen müssen. Und wie Pitt im Unterhaus gesagt hatte: »Ein defensiver Krieg kann nur mit unausweichlicher Niederlage enden.«
Bolitho verließ das Schiff in Portsmouth, aber erst nachdem alle Leute ordentlich entlohnt und Geld an die Angehörigen der vielen Gefallenen abgeschickt worden waren. Dann, fast ohne Abschied, war er nach Falmouth aufgebrochen.
Herrick, nun Erster Leutnant, war an Bord geblieben und hatte das Schiff der Werft übergeben. Danach war auch er in seine Heimat abgereist. Dort, in Kent, hatte er wenige Tage später Bolithos Brief erhalten und sich nach Cornwall auf den Weg gemacht, ohne genau zu wissen, ob es sich um eine echte Einladung oder bloß um eine formelle Höflichkeit handelte.
Doch während seine Augen jetzt durch den großen, dämmrigen Raum und über Bolithos schlanke Gestalt vor dem Feuer glitten, ging ihm auf, daß Bolitho nun völlig allein war.
»Es tut mir leid. Davon hatte ich keine Ahnung.«
»Mein Vater ist vor drei Monaten gestorben.« Bolitho lächelte kurz und bitter. »Hugh kam ein paar Monate nach der Schlacht bei den Saintes um: Tod durch Unfall. Ein durchgegangenes Pferd, glaube ich.«
»Woher wissen Sie das alles?«
Bolitho zog eine Lade auf und legte einen Degen auf den Tisch. Im Schein der Flammen glänzte er so hell, daß man die angelaufene Vergoldung und die abgenutzte Scheide übersah.
»Hugh hat ihn meinem Vater geschickt. Für mich.« Er blickte wieder ins Feuer. »Er schrieb, er sei zu dem Schluß gekommen, daß er von rechtswegen mir gehöre.«
Die Tür öffnete sich, und die blonde Frau brachte ein Tablett mit heißem Punsch herein.
Bolitho lächelte. »Danke schön, Mrs. Ferguson. Wir essen dann gleich.«
Die Tür schloß sich wieder, und Bolitho sah die Frage auf Herricks Gesicht. »Ja, die Frau meines Schreibers Ferguson. Er arbeitet jetzt ebenfalls für mich.«
Herrick nickte und griff nach einem der Gläser. »Er hat bei den Saintes einen Arm verloren. Ich erinnere mich.«
Bolitho schenkte sich ein und hielt das Glas gegen den Schein der Flammen. »Seine Frau ist wieder gesund geworden. Und Ferguson gilt in der Stadt als Held.« Es schien ihn zu amüsieren, und um seine Mundwinkel spielte das Herrick so vertraute Lächeln, ehe er fortfuhr: »Ja, nun ist der Krieg aus, Thomas. Und wir sind an den Strand geworfen. Ich frage mich, was vor Leuten wie uns liegt.«
»Dieser Frieden währt nicht ewig, Sir«, antwortete Herrick nachdenklich und hob sein Glas. »Auf alte Freunde, Sir!« Bilder zogen an seinem geistigen
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