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Bruderschaft der Unsterblichen

Bruderschaft der Unsterblichen

Titel: Bruderschaft der Unsterblichen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Robert Silverberg
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durch und durch normal. Ein gutaussehender, wohlgenährter Medizinstudent aus den wilden Weiten von Kansas. Er hatte meine Größe – vielleicht noch ein paar Zentimeter mehr, und das war sehr gut so; mit kleinen Menschen komme ich nicht zurecht. Oliver war nach außen hin unkompliziert. Über fast alles konnte er lachen. Einer, mit dem man leicht zurechtkommt. Beide Eltern tot, er bekam ein volles Stipendium für diese Anstalt. Ich bemerkte rasch, daß er überhaupt kein Geld besaß, und fürchtete einen Moment lang, das könne Unstimmigkeiten zwischen uns heraufbeschwören. Aber nein, er verstand die Situation sehr gut. Geld schien ihn gar nicht zu interessieren, solange er nur genug hatte, um Nahrung, Unterkunft und Bekleidung zu bezahlen, und dafür hatte er genug – eine kleine Erbschaft, der Erlös aus dem Verkauf der Familienfarm. Das dicke Bündel Geld, das ich immer mit mir führte, erschreckte ihn nicht, es amüsierte ihn nur. Er erzählte mir schon am ersten Tag, daß er plante, in die Basketball-Mannschaft zu gehen, und ich dachte, er hätte sein Stipendium als Sportler bekommen, aber da lag ich falsch: Er mochte Basketball, er nahm ihn sogar sehr ernst, aber er war hierhergekommen, um zu lernen. Und das war auch der eigentliche Unterschied zwischen uns, nicht die Sache mit Kansas oder mein Geld, sondern diese Vorstellung seiner Absichten. Ich ging aufs College, weil alle männlichen Mitglieder meiner Familie nach der Schule und vor dem Erwachsensein das College besuchen. Oliver war hier, um aus sich eine wilde Geistmaschine zu machen. Er hatte damals – und hat ihn immer noch – einen kolossalen, unglaublichen und überwältigenden inneren Antrieb. Hin und wieder erwischte ich ihn in jenen ersten Wochen ohne Maske; die sonnige Miene des Farmjungen verschwand, der Ausdruck wurde hart, die Kiefer waren aufeinandergepreßt, die Augen strahlten in kaltem Glanz. Sein Eifer konnte erschreckend sein. In allem mußte er perfekt sein. Er hatte einen Notendurchschnitt von „sehr gut“ und stand immer mit an der Spitze in unserer Klasse. Er spielte im Erstsemester-Basketball-Team mit und sprengte im ersten Spiel den Korbrekord; täglich blieb er die halbe Nacht auf, um zu studieren, er schien nie zu schlafen. Trotzdem schaffte er es, menschlich zu wirken. Er trank viel Bier, konnte unbegrenzt bumsen (wir gingen immer zusammen auf Tour), und er spielte vorzüglich Gitarre. Zum Maschinenwesen wurde Oliver nur, wenn es um Drogen ging. In der zweiten Woche am College besorgte ich ausgezeichnetes marokkanisches Hasch, aber er wollte absolut nicht. Und erklärte nur, er habe siebzehneinhalb Jahre damit verbracht, seinen Kopf zu eichen, und jetzt habe er nicht vor, das alles wieder durcheinanderzubringen. So weit ich das beurteilen kann, hat er in den vier Jahren, die seitdem vergangen sind, noch nicht an einem Joint gezogen. Er toleriert unseren Drogenkonsum, aber er will nichts davon abhaben.
    Im Frühling unseres zweiten Studienjahres erwarben wir Ned. Oliver und ich hatten unser Zimmer in diesem Jahr wieder genommen. Ned besuchte zwei Seminare, in denen auch Oliver saß: Physik, die Ned benötigte, um seinen naturwissenschaftlichen Pflichtveranstaltungen nachzukommen, und Literaturwissenschaft, Olivers geisteswissenschaftliche Pflichtveranstaltung. Oliver hatte einige Schwierigkeiten mit Joyce und Yeats, und Ned hatte etliche Schwierigkeiten mit der Quantentheorie und der Thermodynamik, also entwickelten die beiden eine gegenseitige Nachhilferegelung. Bei den beiden zogen sich wirklich Gegensätze an. Ned war klein, sprach leise, war mager, hatte große, sanfte Augen, und er bewegte sich sanft. Ein Bostoner Ire von streng katholischer Herkunft, erzogen in kirchlichen Schulen. Er trug immer noch ein Kruzifix, als wir schon im dritten Semester waren, manchmal ging er sogar in die Messe. Er beabsichtigte Dichter und Kurzgeschichtenautor zu werden. Nein, beabsichtigen ist nicht das richtige Wort. Wie Ned einmal erklärte, beabsichtigen Leute mit Talent nicht, Autoren zu werden. Entweder man ist es, oder man ist es nicht. Die, die Talent haben, beabsichtigen zu schreiben. Ned schrieb immer. Und tut das immer noch. Er trägt einen Spiralblock mit sich und notiert alles, was er hört. Eigentlich bin ich ja der Meinung, daß seine Kurzgeschichten Scheiße sind und seine Gedichte nutzlos. Aber ich räume ein, daß dafür auch mein Geschmack verantwortlich sein kann und nicht sein Talent, denn die gleiche Meinung hege ich

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