Bruderschaft der Unsterblichen
schrecklichen Himmel erwarten wir das Ende. Erwarten wir das Ende.“
„Eine ganze Menge Leute gehen immer noch in die Kirchen“, führte Timothy aus. „Sogar in die Synagogen, nehme ich an.“
„Aus Gewohnheit. Aus Angst. Aus sozialer Notwendigkeit. Aber öffnen sie ihre Seelen vor Gott? Wann hast du dich zuletzt Gott offenbart, Timothy? Oliver? Ned? Wann ich? Wann ist uns überhaupt der Gedanke gekommen, so etwas zu tun? Es klingt absurd. Gott ist von den Evangelisten so versaut worden und von den Archäologen und den Theologen und dem ganzen Betrug um die Frömmelei; da ist es ja kein Wunder, daß Er gestorben ist. Selbstmord. Aber was wird jetzt aus uns? Sollen wir alle Wissenschaftler werden und alles mit Begriffen wie Neutronen, Protonen und DNS erklären können? Wo liegt dort der tiefere Sinn? Wir müssen selbst etwas tun“, sagte Eli. „Dem modernen Leben mangelt es an Mysterien. Nun gut denn, es wird also die Aufgabe des intelligenten Menschen sein, eine Atmosphäre zu schaffen, in der das Überleben des Unerklärlichen möglich ist. Ein verschlossener Geist ist ein toter Geist.“ Eli geriet jetzt in Fahrt. Der Eifer packte ihn. Der Billy Graham des Drogenzeitalters. „In den letzten acht, zehn Jahren haben wir alle versucht, zu einer Art brauchbaren Synthese vorwärtszustolpern, eine strukturelle Wechselbeziehung, die inmitten dieses Chaos’ die Welt für uns zusammenhält. Das Hasch, die harten Drogen, die Kommunen, der Rock, die ganze transzendentale Klamotte, die Astrologie, die Makrobiotik, der Zen – wir suchen, nicht wahr, wir suchen doch immer? Und manchmal finden wir auch etwas. Nicht oft allerdings. Wir schauen auf viele stumme Dinge, weil wir im Grunde genommen selbst stumm sind, sogar die Besten von uns, und auch, weil wir die Antworten nicht finden können, bevor wir nicht mehr Fragen erarbeitet haben. Deshalb jagen wir Fliegenden Untertassen hinterher. Wir legen Taucheranzüge an und suchen Atlantis. Wir begeistern uns für Mythologie, Phantasie und Paranoia. Tolkiens Middle Earth und andere Verrücktheiten, tausenderlei Arten der Irrationalität. Was immer sie abgelehnt haben, dessen nehmen wir uns gerne an, oft aus keinem besseren Grund, als daß sie es verdammt haben. Die Flucht aus der Realität. Ich will das ja gar nicht gutheißen. Ich behaupte einfach, daß sie notwendig ist, eine Phase, durch die wir alle hindurch müssen, Feuer und Eis. Die Vernunft hat versagt. Der westliche Mensch floh von der abergläubischen Ignoranz in die Leere des Materialismus: Jetzt müssen wir weitermachen, manchmal über Sackgassen und Irrwege, bis wir wieder lernen, das Universum in all seiner geheimnisvollen, unerklärlichen Ungeheuerlichkeit anzunehmen, bis wir das passende Stück gefunden haben, die Synthese, das Zusammenfinden, das uns das Leben so leben läßt, wie es eigentlich gedacht ist. Und dann können wir ewig leben. Oder zumindest dem ‚ewig’ so nahe, daß kaum noch ein Unterschied besteht.“
Timothy sagte: „Und du willst, daß wir glauben, das Buch der Schädel könnte den Weg dahin zeigen, was?“
„Zumindest ist es eine Möglichkeit. Es gibt uns die begrenzte Chance, die Unbegrenztheit zu erreichen. Ist das nicht genug? Ist das nicht wenigstens einen Versuch wert? Wohin hat uns der Hohn gebracht? Wohin führt uns der Zweifel? Und wohin der Skeptizismus? Sollen wir es nicht versuchen? Sollen wir nicht einmal nachsehen?“ Eli hatte seinen Glauben wiedergefunden. Er schrie, er schwitzte, ganz nackt stand er da und wedelte mit den Armen. Sein ganzer Körper war erregt. Er war wirklich schön, in diesem Moment jedenfalls. Eli, schön!
Ich sagte: „Ich bin die ganze Zeit über bei dieser Sache dabei und zur gleichen Zeit würde ich keinen Pfennig in diese Sache investieren. Kannst du das verstehen? Ich liebe die Dialektik des Mythischen. Das Unmögliche rennt gegen meinen Skeptizismus an und treibt mich dadurch vorwärts. Spannungen und Widersprüche sind mein Treibstoff!“
Timothy, der advocatus diaboli, schüttelte den Kopf – die Geste eines Stiers, seine große, massige Gestalt bewegte sich wie ein langsames Uhrpendel. „Was soll das, Mann? Woran glaubst du wirklich? Die Schädel, ja oder nein, Errettung oder Scheiße, Wahrheit oder Märchen. Also, was?“
„Beides“, sagte ich.
„Beides? Du kannst nicht beiden nachgehen.“
„Doch, ich kann!“ rief ich. „Beiden! Beiden! Ja und Nein! Kannst du meinen geistigen Standort nachvollziehen, Timothy? Der Ort, an
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