Bruderschaft der Unsterblichen
zwar nach j e dermanns Definition; ohne die Staffage und den Han d lungsbau zu beachten; ein Roman, in dem fünfundzwa n zigtausend Jahre alte Männer herumlaufen, muß ganz einfach Science Fiction sein, richtig? Richtig. Außer n a türlich, diese steinalten Männer erlauben sich einen Schabernack, und diese Möglichkeit ist ja nicht ausz u schließen. Ist der Roman also Science Fiction?
Ich weiß es nicht. Es kommt eben darauf an, ob der Leser, wie Eli, Ned, Oliver und Timothy, die Geschichte der Brüder ohne handfesten Beweis akzeptiert. Hält der Leser sie für wirkliche Unsterbliche, dann ist das Buch wirkliche Science Fiction. Hält der Leser das Ganze für einen Schabernack eines Kults von Irren, nun, dann en t puppt sich das Buch als eine Art Sozialsatire.
Wie dem auch sei, The Book of Skulls wurde Ende 1970/Anfang 1971 geschrieben. Der vorangegangene Roman war The Second Trip 4 , der ganz ohne Zweifel Science Fiction ist, und danach habe ich Dying Inside geschrieben, den einige Leute für einen Grenzfall halten. Alle drei Romane haben eine gewisse Gleichzeitigkeit des Gefühls, eine gewisse Annäherung an Mainstream-Literatur, die anderen Romanen von mir, etwa Tower of Glass 5 oder The World Inside 6 fehlt. Die Geschichte der Veröffentlichung von The Book of Skulls ist etwas ve r wickelt; nach dem Vertrag wurde es für New American Library, einem Taschenbuchverlag, geschrieben. Aber in der Zeit zwischen Vertragsabschluß und dem Niede r schreiben des Buches kam ich mit dem ehrenwerten alten Buchverlag Charles Scribner & Söhne in Verbindung. Es schien zweckmäßig, das Buch zuerst bei Scribner und dann erst bei NAL erscheinen zu lassen. Und dann ve r suchte ich mit Unterstützung von Ellen Asher, der H e rausgeberin des Taschenbuchverlags, Norbert Slepyan von Scribner und Ted Chichak von der literarischen Agentur Scott Meredith die Sache in die Wege zu leiten; ein Kunststück, das sich als kaum weniger schwierig e r wies, als ein Raumschiff zum Neptun zu schicken. Mona te voll verzwicktestem Vertragsgerangel folgten. In meinen Akten habe ich einen Brief von Ellen Asher gefunden, datiert vom 20. Januar 1972, der besagt: „Ich glaube, wir nähern uns dem ersten Jahrestag, was die Verhandlungen über The Book of Skulls betrifft. Meinst du, ich soll einen Kuchen backen? Natürlich bist du ja eigentlich selbst daran schuld, wenn du schon ein Buch über die Ewigkeit schreibst …“
Das Durcheinander wurde gelöst, und im Sommer 1972 veröffentlichte Scribner das Buch – es wurde mit Verwirrung aufgenommen: Nicht-SF-Kritiker hielten es für Science Fiction, SF-Kritiker hielten es für Mai n stream-Literatur. Dennoch wurde der Roman in diesem Jahr sowohl für den HUGO als auch für den NEBULA nominiert, gleichzeitig mit Dying Inside. Und das sollte eigentlich das Problem begraben, ob es sich nun wirklich bei diesen beiden Büchern um Science Fiction handelt. (Ein Roman, der von Hunderten von Leuten als bester Science-Fiction-Roman des Jahres vorgeschlagen wird, ist, ipso facto, Science Fiction, richtig? Richtig.) Bei der Schlußabstimmung für den HUGO 1972 gelangten beide, Skulls und Dying Inside, nicht auf die ersten Plätze, so n dern wurden von drei Romanen geschlagen, deren Wert, sowohl auf Science Fiction bezogen als auch literarisch gesehen, sehr mäßig zu sein schien; das war eine sehr lehrreiche Erfahrung für mich. Unter den Vorschlägen für die NEBULA-Nominierung waren auch einige bess e re Bücher, ohne daß dies etwas zu bedeuten hätte, denn wiederum trugen die nämlichen, eher gewöhnlichen B ü cher die ersten Plätze davon. Soviel zu demokratischen Prozessen in der amerikanischen Kunst.
Hier jedenfalls erlebt The Book of Skulls, ob Science Fiction oder nicht, seine neueste Auferstehung.
Robert Silverberg
Oakland, Kalifornien
Anmerkungen:
1 deutscher Titel: Es stirbt in mir
2 dt. Titel: New York 1999
3 WASP = White AngloSaxon Protestant; volkstümliche Bezeichnung und Schimpfname für die weiße Obe r schicht in den USA.
4 dt. Titel: Der zweite Trip
5 dt. Titel: Kinder der Retorte
6 dt. Titel: Ein glücklicher Tag im Jahr 2381
1. KAPITEL
Eli
Von Norden kommend, erreichten wir New York City von der New England Thruway. Wie üblich fuhr Oliver: unermüdlich, entspannt, das Autofenster halboffen, das lange blonde Haar wehte im frischen Fahrtwind. Timothy war auf seinem Sitz zusammengesunken und schlief. Der zweite Tag unseres Osterausflugs. Die Bäume waren immer
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