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Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition)

Titel: Brückenorakel Bd 2 - Weltenwanderer (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Melissa Fairchild
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Ruhe und wartete auf das Wunder.
    Er brauchte sich nicht lange zu gedulden. Erst prickelte seine Hand, bald der ganze Arm. Langsam begannen die Knochen, sich zu begradigen, die Haut spannte sich, und ein Knirschen ertönte, als sich die gebrochenen Enden wieder zusammenfügten.
    Avi konnte buchstäblich beobachten, wie sein Körper sich selbst heilte.
    Das war ihm schon öfter passiert. Zum Beispiel im Krankenhaus. Damals waren seine Verletzungen so schwer gewesen, dass er trotz seiner Zauberkräfte sieben Tage gebraucht hatte, um zu genesen. Seitdem hatte er bereits öfter von dieser erstaunlichen Fähigkeit profitiert: Schnittwunden und Abschürfungen verschwanden vor seinen Augen, ein Splitter entfernte sich von selbst, und er fing sich nie eine Erkältung ein.
    Im Feenreich war er nichts als ein gewöhnlicher junger Prinz.
    In dieser Welt war er unsterblich.
    Als er den Eingang der U-Bahn-Station erreichte, wiesen nur noch eine gelbliche Beule am Unterarm und ein paar Blutflecken auf dem T-Shirt auf seinen Unfall hin. Er tastete in seiner Hosentasche nach der Fahrkarte und betrat die Station.
    Jedes Mal, wenn Avi die U-Bahn nahm, fragte er sich, warum er nicht stattdessen mit dem Bus fuhr. Auf diese Weise hätte er sich nämlich eine Menge Angstgefühle erspart. Als er die Fahrkarte durch die automatische Schranke zog, verdoppelte sich sein Pulsschlag. Auf der Rolltreppe brach ihm der kalte Schweiß aus, und unten angekommen, zitterte er am ganzen Körper.
    »Warum tust du dir das an?«, hatte Hannah sich erkundigt, als er ihr von seiner Phobie erzählte.
    »Weil ich mich von der Angst nicht unterkriegen lassen will«, lautete seine Antwort.
    »Erinnerst du dich noch an irgendetwas? Ich meine, als du …«
    »Als ich mich vor die U-Bahn geworfen habe? Nein. Bis zu diesem Kapitel bin ich in meinem Erinnerungsbuch nicht mehr gekommen. Aber mir wird immer noch mulmig, wenn ich sehe, wie sich die Lichter aus dem Tunnel nähern.«
    »Armer Avi. Phobie. Gedächtnisverlust. Du bist ein medizinisches Wunder.«
    »Ich werde schon darüber hinwegkommen.«
    Avi ballte die Fäuste und verließ die Rolltreppe. Auf dem Bahnsteig herrschte Gedränge. Es war zwar noch zu früh für die Hauptverkehrszeit, doch Wartungsarbeiten hatten für Verzögerungen gesorgt. Avi zwängte sich durch die Menschenmenge, als gerade die nächste U-Bahn einfuhr. Heißer Wind zauste ihm das Haar, das ihm inzwischen fast bis zu den Schultern reichte.
    Die U-Bahn hielt mit einem Pfeifen, und die Türen öffneten sich. Avi ließ sich von den anderen Fahrgästen in den Waggon schieben und fühlte sich, wie immer inmitten von Sterblichen, in seiner Außenseiterrolle bestätigt. Er suchte sich einen Stehplatz an einer der Türen, wo er wegen der Röhrenform des Waggons den Kopf einziehen musste. Die Tür schloss sich.
    Die Hand an der Haltestange, betrachtete er sich in der Glasscheibe. Obwohl er nicht von dieser Welt war, unterschied er sich äußerlich nicht von den anderen Fahrgästen. Viele waren dunkelhäutig wie er, und niemandem fiel auf, dass seine Augen ein wenig breiter als gewöhnlich waren oder dass er eine seltsam geschwungene Nase hatte. London war derart multikulturell, dass selbst ein Feenprinz unbemerkt durch die Straßen spazieren konnte. Es gab nur eines, was ihn gelegentlich verriet: Seine Augen wechselten ab und zu mit dem Himmel die Farbe.
    Und sie richteten sich nicht immer nach dem Himmel in dieser Welt.
    Das Strahlen seiner Augenfarbe veränderte sich manchmal mit dem Wetter, dann wieder mit seiner jeweiligen Stimmung. Im Moment funkelten seine Augen regelrecht, was wahrscheinlich an seiner Angst vor U-Bahnen lag. Trotz der schmutzigen Scheibe erkannte er, dass sie so kräftig kobaltblau leuchteten wie der Himmel im Frühling. Die blauen Kreise erinnerten ihn an die Punkte auf den Flügeln des Schmetterlings, weshalb er sich hastig abwandte.
    Sein Blick fiel genau auf das Gesicht eines kleinen Mädchens auf dem Sitz neben ihm.
    Das etwa fünf- bis sechsjährige Kind starrte ihn mit unverhohlenem Erstaunen an und zupfte seine Mutter am Ärmel.
    »Mummy, was ist denn mit den Augen von dem Mann da los?«
    Einige Fahrgäste sahen sich nach dem Mädchen und nach Avi um, während ihre Mutter der Kleinen zuflüsterte, dass es unhöflich sei, mit dem Finger auf fremde Leute zu zeigen. Avi drehte sich weg.
    Nun hatte er Sicht auf den ganzen Waggon und ertappte sich dabei, dass er – eine Angewohnheit, wenn er unter vielen Menschen war –

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