Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
sich dort abzeichneten, schienen ihm ein Indiz dafür, dass der Teufel nicht auf ihn ganz allein setzte. »Sind Sie verheiratet?«, fragte ihn der Comte unvermittelt.
»Nein, aber gewissermaßen verlobt.«
»Hat sie Geld?«
»Ziemlich viel.«
»Sie wachsen mir mit jedem Eingeständnis mehr ans Herz.« Er scheuchte Teutch weg. »Ich denke, Sie ziehen besser hier ein, zumindest wenn Sie in Versailles sind. Ich glaube nicht, dass man Sie frei herumlaufen lassen sollte.« Er zog an seiner Halsbinde. Seine Stimmung war umgeschlagen. »Wissen Sie, Camille«, sagte er leise, »Sie fragen sich vielleicht, was Sie hier machen, aber ich frage mich bei mir ganz das Gleiche … Hier zu sein, in Versailles, und täglich darauf zu warten, dass ich zum König bestellt werde, und das kraft meiner Schriften, meiner Reden, der Unterstützung, die ich im Volk genieße … dass ich endlich die mir bestimmte Rolle in diesem Königreich spielen darf … Denn der König muss ja nach mir schicken, nicht wahr? Nachdem all die alten Rezepte versagt haben.«
»Ich denke schon. Aber Sie müssen ihm ganz klar zeigen, was für ein gefährlicher Gegner Sie sein können.«
»Ja … und das wird gleich das nächste Vabanquespiel. Haben Sie je versucht, sich umzubringen?«
»Der Gedanke kommt mir zuweilen.«
»Es ist eine einzige Farce«, sagte der Comte bissig. »Ich hoffe, Sie haben einen flotten Spruch auf den Lippen, wenn Sie wegen Hochverrat angeklagt werden.« Er senkte die Stimme wieder. »Ja, ganz meine Erfahrung, es erscheint als eine Option. Die Leute sagen ja gern, sie bereuen nichts, sie prahlen damit, aber ich, ich bereue vieles – meine Schulden, die täglich anwachsen, die Frauen, die ich entehrt und dann fallengelassen habe, meine eigene Natur, die ich nicht zügeln kann, die zu zügeln ich nie gelernt habe, die es nie gelernt hat, den rechten Moment abzuwarten … Doch, der Tod ist mir durchaus schon als Atempause erschienen, als Erlösung von mir selbst. Aber ich war ein Tor. Jetzt will ich leben, damit …« Er brach ab. Er hatte sagen wollen, dass er gebüßt hatte, dass man ihm seine Irrtümer aufs grausamste zu fühlen gegeben hatte, dass er sturmreif geschossen, abgewürgt, erniedrigt worden war.
»Damit was?«
Mirabeau grinste. »Damit ich ihnen die Hölle heiß machen kann.«
La Grande Salle des Menus Plaisirs hieß der Raum, der Saal der unbedeutenden Vergnügungen. Bisher hatte er als Requisitenkammer für Theateraufführungen bei Hof gedient. Beide Tatsachen blieben nicht unkommentiert.
Nachdem der König den Saal zum geeigneten Versammlungsort für die Generalstände erklärt hatte, ließ er Schreiner und Maler anrücken. Sie hängten quastengeschmückte Samtportieren auf, errichteten Säulen aus Pappe und bepinselten sie mit Goldfarbe. Es sah leidlich prächtig aus und kostete wenig. Zur Rechten und zur Linken des Throns wurden Stühle für Klerus und Adel aufgestellt, der Dritte Stand hatte sich mit einer ungenügenden Anzahl nackter Holzbänke an der Rückwand zu begnügen.
Es fing schlecht an. Nach seinem feierlichen Einzug blickte der König mit dümmlichem Lächeln auf die Versammlung herab und lüftete seinen Hut. Dann bestieg er den Thron und setzte den Hut wieder auf. Die leuchtenden Soutanen und Seidengewänder rauschten und raschelten, als ihre Träger Platz nahmen. Dreihundert Federhüte wurden gelüpft und zurück auf dreihundert adlige Häupter gestülpt. Das einfache Volk, so schrieb die Etikette vor, hatte in Gegenwart des Monarchen hutlos und stehend auszuharren.
Nach ein paar Sekunden klatschte sich ein rotgesichtiger Mensch seinen Hut auf den Kopf und setzte sich unter lautem Gepolter hin. Wie ein Mann nahm der Dritte Stand seine Plätze ein. Der Comte de Mirabeau zwängte sich mit allen anderen auf die Bänke.
Unerschüttert erhob Seine Majestät sich zu seiner Ansprache. Ihm persönlich war es ohnehin eine Zumutung erschienen, die armen Leute den ganzen Nachmittag stehen zu lassen, nachdem sie schon drei Stunden vor dem Saal auf Einlass gewartet hatten. Jetzt hatten sie die Initiative ergriffen; er würde ihnen keinen Strick daraus drehen. Er begann zu sprechen. Schon nach den ersten Sätzen beugte sich jeder zu seinem Vordermann vor. Wie? Was hat er gesagt?
Im Nu war klar: Hier konnten nur Hünen mit ehernen Lungen bestehen. Mirabeau als ein solcher Hüne lächelte.
Der König sagte – letztlich sehr wenig. Er sprach von der Schuldenlast durch den Krieg in Amerika. Er sagte, das
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