Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety

Titel: Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hilary Mantel
Vom Netzwerk:
Steuersystem werde vielleicht reformiert. Wie, sagte er nicht. Als Nächster erhob sich M. Barentin, Justizminister, Großsiegelbewahrer. Er warnte vor überstürztem Handeln und gefährlichen Neuerungen, lud die Stände ein, am nächsten Tag getrennt zusammenzutreten, um Posten zu verteilen und ihr Vorgehen festzulegen. Er setzte sich wieder.
    Es war der feste Wille des Dritten Standes, dass die Stände geschlossen zusammentraten und jede Stimme einzeln zählte. Andernfalls würden sich Klerus und Adel gegen das Volk verbünden, und das großmütige Zugeständnis doppelter Repräsentanz – ihre sechshundert gegen die zweimal dreihundert von Adel und Kirche – würde nichts wert sein. Sie konnten ebenso gut heimgehen.
    Aber nicht vor Neckers Rede. Der Generalfinanzdirektor stand auf, gespannte Stille trat ein, und Maximilien de Robespierre rutschte kaum merklich auf seiner Bank vor. Necker begann. Man hörte ihn besser als Barentin. Er nannte Zahlen, Zahlen, Zahlen.
    Nach zehn Minuten folgten Maximilien de Robespierres Blicke denen der anderen Männer im Saal. Die Hofdamen saßen nach Bänken gereiht wie Teller auf einem Tellerbord: steif, eingeschirrt in ihre unmöglichen Gewänder, Korsette und Schleppen. Kerzengerade saß eine jede da, doch dann, wenn sie müde wurde, lehnte sie sich an die Knie der Dame hinter ihr. Zehn Minuten später begannen diese Knie zu rucken und zu zucken, worauf die vordere Dame sich eilends aufrichtete. Bald erschlaffte sie jedoch wieder, wippte, gähnte, rutschte hin und her auf dem engen Raum, der ihr zugebilligt wurde, raschelte, seufzte stumm in sich hinein und betete, dass die Pein bald beendigt sein möge. Wie sie sich danach sehnten, sich vorzubeugen, den Kopf auf die Knie betten zu dürfen! Der Stolz hielt sie aufrecht – mehr oder weniger. Arme Dinger, dachte er. Arme kleine Geschöpfe. Ihr Rücken zerbricht.
    Die erste halbe Stunde ging vorüber. Necker musste schon vorher im Saal gewesen sein und die Akustik getestet haben, denn seine Rede war halbwegs zu verstehen; ein Jammer nur, dass nichts daran einen Sinn ergab. Wir hatten auf ein Zeichen gehofft, dachte Max, auf ein paar – ja, gut klingende Worte. Inspiration, wie auch immer man dazu sagen will. Necker zeigte nun doch Ermüdungserscheinungen. Die Stimme versagte ihm. Auch dafür war vorgesorgt. Er hatte einen Stellvertreter dabei. Er schob ihm sein Skript hin. Der Stellvertreter stand auf und fing zu lesen an. Er hatte eine Stimme wie eine knarzende Zugbrücke.
    Max’ gesondertes Augenmerk galt nun der Königin. Während der Rede ihres Mannes hatte sie konzentriertes Stirnrunzeln gemimt. Als Barentin sich erhob, hatte sie den Blick gesenkt. Jetzt ließ sie ihn schweifen, ganz offen ließ sie ihn die Bänke der Volksvertreter entlangwandern. Sie beobachtete das Volk dabei, wie es sie beobachtete. Ab und zu sah sie flüchtig in ihren Schoß und bewegte die Finger ein wenig, um ihre Diamanten blitzen zu lassen. Dann hob sie den Kopf wieder, und erneut drehte sich das Gesicht mit der Habsburgerlippe hin und her, hin und her. Sie schien zu suchen, zu suchen. Wonach suchte sie? Nach einem bestimmten Gesicht über den schwarzen Mänteln … einem Feind? Einem Freund? Ihr Fächer zuckte in ihrer Hand wie ein gefangener Vogel.
    Drei Stunden später stolperten die Deputierten benommen hinaus ins Sonnenlicht. Eine große Gruppe sammelte sich um Mirabeau, der zu ihrer Erbauung M. Neckers Rede zerpflückte. »Eine Rede, meine Herren, wie man sie von einem mäßig begabten Bankangestellten erwarten würde … Was das Defizit betrifft, das ist unser bester Freund. Wenn der König kein Geld auftreiben müsste, wären wir dann hier?«
    »Wir können uns das Hiersein schenken«, bemerkte ein Abgeordneter, »wenn wir nicht nach Köpfen abstimmen dürfen.« Mirabeau schlug dem Mann auf den Rücken, dass er taumelte.
    Max ging auf Abstand. Er wollte kein Schulterklopfen von Mirabeau riskieren, auch kein versehentliches; der Mann machte so großzügigen Gebrauch von seinen Fäusten. Gleich darauf spürte er, wie jemand ihm auf die Schulter tippte, gerade nur tippte. Er drehte sich um. Einer der bretonischen Abgeordneten. »Taktikbesprechung heute Abend um acht bei mir, einverstanden?«
    Max nickte. Er meint nicht Taktik , dachte er, er meint Strategie : die Kunst, dem Feind Zeit, Ort und Bedingungen für die Schlacht zu diktieren.
    Und hier kam der Abgeordnete Pétion. »Wozu diese bescheidene Zurückhaltung, de Robespierre? Sehen Sie

Weitere Kostenlose Bücher