Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
gleichzeitig. Entweder man weckte sein Interesse, oder man weckte es nicht. Der Abgeordnete Pétion weckte es offensichtlich nicht. Er war ein großer und kräftiger Mann mit dem treuherzigen Ausdruck eines schnell wachsenden Welpen. Mit einem Lächeln sah er im Zimmer umher. Dann wurden die trägen blauen Augen fündig: »Ah, der berüchtigte Camille!«
Camille fuhr zusammen. Ohne das Adjektiv wäre es ihm lieber gewesen. Trotzdem, es war ein Anfang.
»Ich war zu einer Stippvisite in Paris«, erklärte Pétion, »und in allen Cafés habe ich Ihren Namen gehört. Dann habe ich Sie mir vom Abgeordneten de Robespierre beschreiben lassen – und Sie jetzt auf Anhieb erkannt!«
»Sie kennen de Robespierre?«
»Sehr gut sogar.«
Ach wirklich?, dachte Camille. »War es denn eine schmeichelhafte Beschreibung?«
»O ja, er hält große Stücke auf Sie.« Pétion strahlte ihn an. »Jeder tut das.« Er lachte. »Schauen Sie nicht so skeptisch.«
Mirabeaus Stimme dröhnte quer durch den Raum. »Brissot, was treibt man dieser Tage im Palais Royal?« Er wartete die Antwort nicht ab. »Schmutzige Ränke schmieden, wie üblich, nehme ich an – alle bis auf den guten Herzog Philippe, der zu simpel für Ränke ist. Schöße, Schöße, Schöße, an was anderes denkt er nicht.«
»Bitte«, sagte Duroveray. »Mein lieber Comte, bitte.«
»Bitte tausendmal um Vergebung«, sagte der Comte, »ich vergaß, dass Sie aus der Stadt Calvins stammen. Aber es stimmt. Sogar Teutch versteht mehr von Staatskunst. Zehnmal mehr.«
Brissot trat von einem Fuß auf den anderen. »Keine Anwürfe gegen den Herzog«, zischte er. »Laclos ist hier.«
»Ich schwöre, ich habe Sie nicht gesehen«, sagte der Graf. »Werden Sie tratschen?« Seine Stimme war seidenweich. »Was macht das Geschäft mit den unanständigen Büchern?«
»Wie kommen Sie denn hierher?«, fragte Brissot Camille im Schutz des Stimmengewirrs. »Wieso sind Sie auf solchem Fuß mit ihm?«
»Wenn ich das wüsste.«
»Meine Herren, ich bitte um Aufmerksamkeit.« Mirabeau bugsierte Camille vor sich und legte ihm seine großen ringegeschmückten Hände auf die Schultern. Jetzt war er ein neues Raubtier, auftrumpfend, gefährlich: ein Bär, der aus seiner Grube entkommen ist. »Das ist meine Neuerwerbung, M. Desmoulins.«
Der Abgeordnete Pétion lächelte ihm aufmunternd zu. Laclos fing seinen Blick auf und wandte sich ab.
»So, meine Herren, wenn Sie mich kurz allein lassen, damit ich mich ankleiden kann … Teutch, die Tür für die Herren, ich bin gleich bei Ihnen.« Einer nach dem anderen verließen sie den Raum. »Sie bleiben hier«, befahl er Camille.
Mit einem Mal herrschte Schweigen. Der Comte strich sich übers Gesicht. »Was für eine Farce«, sagte er.
»Ja, es scheint ziemlich sinnlos. Aber ich weiß nicht, wie diese Dinge gedacht sind.«
»Sie wissen überhaupt sehr wenig, mein Lieber, aber Ihre streberhaften kleinen Meinungen krähen Sie trotzdem heraus.« Mit federndem Schritt ging er durch das Zimmer, die Arme weit ausgebreitet. »Der Aufstieg und Aufstieg des Comte de Mirabeau. Jetzt müssen sie zu mir kommen, alle müssen sie in die Höhle des Löwen. Laclos kommt her, mit dieser spitzen Nase, die ständig zuckt. Brissot ditto. Er macht mich nervös, dieser Brissot, nie kann er stillstehen. Nicht dass er im Zimmer herumrennt wie Sie, er zappelt nur so. Übrigens, sehe ich das richtig, dass Sie sich von Orléans bezahlen lassen? Sehr gut. Man muss leben, und wenn es sich irgendwie einrichten lässt, auf Kosten anderer. Teutch«, sagte er, »du darfst mich rasieren, aber schmier mir keinen Schaum in den Mund, ich will reden.«
»Das ist ja ganz was Neues«, sagte der Mann. Sein Dienstherr beugte sich vor und puffte ihn in die Rippen. Teutch verschüttete etwas heißes Wasser, schien aber sonst unerschüttert.
»Ich bin sehr gefragt bei den Patrioten«, bemerkte Mirabeau. »Patrioten! Ist Ihnen aufgefallen, dass man keine drei Sätze mehr lesen kann, ohne über das Wort ›Patriot‹ zu stolpern? Ihr Pamphlet wird erscheinen, nächsten Monat, spätestens übernächsten.«
Camille saß da und betrachtete ihn versonnen. Er fühlte sich, als triebe er auf dem Meer.
»Verleger sind ein feiges Pack«, sagte der Comte. »Wenn ich im Inferno das Sagen hätte, würde ich ihnen ihren eigenen Höllenkreis einrichten, wo sie langsam auf weiß glühenden Druckerpressen geröstet würden.«
Camilles Augen glitten über Mirabeaus Gesicht. Die Launen und Spannungen, die
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