Brüder - Mantel, H: Brüder - A Place of Greater Safety
Monsieur.
MIRABEAU : Was für eine geduldige Seele er sein muss. Ich wünschte, ich hätte diese Geduld. Mach dem braven Abgeordneten meinetwegen eine heiße Schokolade, Teutch, in deiner christlichen Nächstenliebe, und sag ihm, ich empfange ihn bald.
[4:30. Mirabeau spricht. Ab und zu bleibt er vor einem Spiegel stehen, um die Wirkung einer Geste zu überprüfen. M. Dumont ist eingeschlafen.]
MIRABEAU : M. de Robinpère immer noch da?
[5:00. Die gefurchte Stirn glättet sich.]
MIRABEAU : Mein Dank, mein Dank an Sie alle. Wie kann ich Ihnen jemals genug danken? Das Zusammenwirken Ihrer Gelehrsamkeit, mein lieber Duroveray, mit Ihrem … Schnarchen, mein lieber Dumont – all Ihre einzigartigen Gaben, zusammengeschweißt durch mein rednerisches Genie …
[Teutch steckt den Kopf zur Tür herein.]
TEUTCH : Sind Sie fertig? Er wartet nämlich immer noch.
MIRABEAU : Unser großes Werk ist vollbracht. Bring ihn herein, bring ihn herein.
[Morgenlicht glänzt hinter dem Kopf des Abgeordneten aus Arras, als er das stickige kleine Zimmer betritt. Der Tabakqualm brennt ihm in den Augen. Er fühlt sich unterlegen, weil seine Kleider verknittert und seine Handschuhe schmutzig sind; er hätte sich vorher umziehen sollen. Mirabeau, in weit ärgerem Aufzug, mustert ihn: jung, blutarm, übermüdet. De Robespierre muss sich konzentrieren, um ein Lächeln zustande zu bringen. Er streckt eine schmale Hand mit abgekauten Nägeln aus. Mirabeau übersieht die Hand und berührt ihn leicht an der Schulter.]
MIRABEAU : Mein lieber M. Robispère, setzen Sie sich. Oh, kein Platz mehr frei?.
DE ROBESPIERRE : Schon in Ordnung. Ich habe ja eine Weile gesessen.
MIRABEAU : Ja, tut mir leid. Der Termindruck …
DE ROBESPIERRE : Schon in Ordnung.
MIRABEAU : Entschuldigen Sie. Ich versuche mir Zeit für jeden Abgeordneten zu nehmen, der mich sprechen möchte.
DE ROBESPIERRE : Ich will Sie auch nicht lange aufhalten.
[Hör auf, dich zu entschuldigen, befiehlt Mirabeau sich. Es macht ihm nichts, er hat es gerade selber gesagt.]
MIRABEAU : Haben Sie etwas Besonderes auf dem Herzen, M. de Robertspierre?
[Der Abgeordnete zieht ein paar zusammengefaltete Seiten aus seiner Tasche. Er reicht sie Mirabeau.]
DE ROBESPIERRE : Das ist der Text einer Rede, die ich morgen gern halten möchte. Ich dachte, vielleicht können Sie ihn durchlesen und mir Ihre Meinung sagen? Auch wenn er doch recht lang ist und Sie sicher ins Bett wollen …?
MIRABEAU : Natürlich lese ich ihn. Es ist mir ein Vergnügen. Das Thema Ihrer Rede, M. de Robespère?
DE ROBESPIERRE : Meine Rede lädt den Klerus ein, sich dem Dritten Stand anzuschließen.
[Mirabeau fährt herum. Seine Faust ballt sich um die Seiten. Duroveray stützt den Kopf in die Hände und stöhnt unhörbar. Aber als der Comte sich wieder zu de Robespierre umdreht, sind seine Züge glatt, die Stimme samtig.]
MIRABEAU : M. de Robinpère, ich muss Sie beglückwünschen. Sie greifen genau die Frage auf, die uns morgen beschäftigen sollte. Wir müssen mit allen Mitteln sicherstellen, dass der Vorschlag angenommen wird, nicht wahr?
DE ROBESPIERRE : Unbedingt.
MIRABEAU : Aber haben Sie daran gedacht, dass auch andere Mitglieder unserer Versammlung diese Frage aufgreifen könnten?
DE ROBESPIERRE : Sicher, es wäre seltsam, wenn niemand das täte. Deshalb komme ich ja zu Ihnen, ich dachte, Sie haben Einblick in die Pläne, schließlich wollen wir nicht, dass einer nach dem anderen aufsteht und dasselbe sagt.
MIRABEAU : Es mag Sie beruhigen zu hören, dass ich selbst eine kleine Rede vorbereitet habe, die sich mit dem Thema befasst. [Mirabeau liest, während er spricht.] Darf ich anregen, dass die Frage von jemandem angesprochen wird, der unseren Mit-Abgeordneten bekannt ist, von einem erfahrenen Redner? Der Klerus könnte weniger geneigt sein, sein Ohr einem Mann zu leihen, der – wie soll ich sagen? – sein überragendes Talent erst noch enthüllen muss.
DE ROBESPIERRE : Enthüllen? Wir sind keine Zauberer, Monsieur. Wir sind nicht hier, um Kaninchen aus unseren Hüten springen zu lassen.
MIRABEAU : Seien Sie sich da nicht zu gewiss.
DE ROBESPIERRE : Immer vorausgesetzt, jemand besäße überragende Talente – kann es einen besseren Zeitpunkt geben, um sie zu enthüllen?
MIRABEAU : Bei allem Verständnis für Ihren Standpunkt möchte ich doch vorschlagen, dass Sie in diesem Fall zurückstehen, dem Allgemeinwohl zuliebe. Verstehen Sie, ich kann mir sicher sein, dass ich die Zuhörer
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