Brunetti 01 - Venezianisches Finale
kritzelte in sein Notizbuch, während Brunetti weiterredete. »Wie kommt man sonst noch hier herein? Gibt es einen direkten Zugang vom Zuschauerraum aus nach hier hinten? Mit wem ist er heute Abend gekommen und wann? Ist während der Vorstellung jemand in seine Garderobe gegangen? Und der Kaffee, ist er von unten aus der Bar, oder wurde er von außerhalb gebracht?« Er hielt inne und dachte nach. »Und versuchen Sie herauszukriegen, ob er irgendwelche Nachrichten, Briefe oder Telefonate bekommen hat.«
»Ist das alles, Commissario?«, wollte Miotti wissen.
»Rufen Sie in der Questura an. Die sollen die deutsche Polizei benachrichtigen.« Und bevor Miotti noch etwas entgegnen konnte: »Sagen Sie denen, sie sollen diese Dolmetscherin für Deutsch holen lassen, wie hieß sie noch?«
»Boldacci, Commissario.«
»Genau. Die sollen sie holen und sie soll bei der deutschen Polizei anrufen. Es ist mir egal, wie spät es ist. Sie soll ein vollständiges Dossier über Wellauer anfordern. Am liebsten hätte ich es gleich morgen früh, wenn es geht.«
»Ja, Commissario.«
Brunetti nickte. Der Caporale salutierte und stiefelte mit seinem Notizbuch in der Hand zur Treppe, die zum Bühneneingang hinunterführte.
»Und, Caporale«, rief Brunetti ihm hinterher.
»Ja, Commissario?«
»Seien Sie höflich.«
Miotti nickte, drehte sich um und verschwand. Dass er so mit einem seiner Untergebenen reden konnte, ohne dass der gleich einschnappte, erinnerte Brunetti wieder einmal daran, wie dankbar er war, nach fünf Jahren in Neapel wieder nach Venedig versetzt worden zu sein.
Obwohl seit dem letzten Vorhang schon mehr als zwanzig Minuten vergangen waren, machten die Leute auf der Bühne keine Anstalten zu gehen. Einige, die offenbar mehr praktischen Verstand hatten, gingen herum und sammelten Requisiten ein: Kostümteile, Gürtel, Spazierstöcke, Perücken. Direkt vor Brunetti kam einer vorbei, der offenbar ein totes Tier über dem Arm trug, aber als Brunetti genauer hinsah, waren es lauter Frauenperücken. Hinter dem Vorhang tauchte Follin auf, den Brunetti vorhin losgeschickt hatte, den Arzt zu rufen.
Er kam auf Brunetti zu und sagte: »Ich dachte, Sie wollen vielleicht mit den Sängern sprechen, Commissario. Da habe ich sie gebeten, oben zu warten. Und den Regisseur auch. Es schien ihnen nicht zu gefallen, aber ich habe erklärt, was passiert ist und danach waren sie einverstanden. Gefallen hat es ihnen trotzdem nicht.«
Opernsänger, dachte Brunetti und wiederholte es noch einmal: Opernsänger. »Gute Arbeit, Follin. Wo sind sie?«
»Oben, hier die Treppe rauf.« Er deutete auf eine kurze Treppe, die zu den oberen Stockwerken des Theaters führte. Dann drückte er Brunetti ein Programmheft in die Hand. Der warf einen Blick darauf, erkannte ein oder zwei Namen und begann die Treppe hinaufzusteigen.
»Wer war am ungeduldigsten, Follin?«, fragte Brunetti, als sie oben angelangt waren.
»Die Sopranistin, Signora Petrelli«, antwortete Follin und deutete rechts den Korridor hinunter auf eine Tür ganz am Ende.
»Gut«, sagte Brunetti und wandte sich nach links. »Dann heben wir uns Signora Petrelli bis zum Schluss auf.« Follins Lächeln machte Brunetti neugierig, wie das Zusammentreffen zwischen der widerwilligen Primadonna und dem eifrigen jungen Polizisten wohl verlaufen sein mochte.
›Francesco Dardi - Giorgio Germont‹, stand auf der maschinengeschriebenen Karte an der ersten Garderobentür links. Brunetti klopfte zweimal und die Antwort kam sofort: »Avanti!«
An dem kleinen Frisiertisch drinnen war der Bariton, dessen Namen Brunetti erkannt hatte, damit beschäftigt, sein Make-up zu entfernen. Dardi war ein kleiner Mann, der seinen üppigen Bauch gegen die Tischkante presste, um sich besser im Spiegel sehen zu können. »Entschuldigen Sie, meine Herren, wenn ich nicht aufstehe, um Sie zu begrüßen«, sagte er, während er sorgsam schwarzes Make-up unter seinem rechten Auge wegwischte.
Brunetti nickte, sagte aber nichts.
Kurz darauf wandte Dardi sich vom Spiegel ab und blickte zu den beiden Männern auf. »Nun?«, fragte er und kehrte zu seinem Make-up zurück.
»Haben Sie gehört, was heute Abend geschehen ist?«, fragte Brunetti.
»Sie meinen mit Wellauer?«
»Ja.«
Nachdem seine Frage nichts weiter als diese einsilbige Antwort auslöste, legte Dardi sein Handtuch hin und sah die beiden Polizisten an. »Kann ich Ihnen irgendwie behilflich sein, meine Herren?«, fragte er an Brunetti gewandt.
Schon
Weitere Kostenlose Bücher