Brunetti 01 - Venezianisches Finale
Tod hat er nicht verdient. Tut mir leid, dass dies passieren musste, Guido.«
»Mir auch, Ettore, mir auch.«
Der Doktor ging und der Fotograf folgte ihm. Sobald sie draußen waren, drehte sich einer der beiden Sanitäter, die bisher rauchend am Fenster gestanden und die Passanten in der Gasse unten beobachtet hatten, um und machte ein paar Schritte zu der Trage hin, auf der die Leiche lag.
»Können wir ihn jetzt wegbringen?«, fragte er gleichgültig.
»Nein«, entgegnete Brunetti. »Warten Sie, bis alle Leute das Theater verlassen haben.«
Der andere, der am Fenster stehen geblieben war, warf seine Zigarette hinaus und stellte sich ans andere Ende der Trage. »Das wird aber ne ganze Weile dauern, oder?«, meinte er mit unverhohlenem Missmut. Er war klein und vierschrötig und sein Akzent war ziemlich eindeutig neapolitanisch.
»Ich weiß nicht, wie lange es dauert, aber warten Sie, bis das Theater leer ist.«
Der zweite Sanitäter schob den Ärmel seiner weißen Jacke zurück und sah betont auf die Uhr. »Also, unser Dienst endet um Mitternacht und wenn wir noch lange warten, kommen wir erst viel später ins Spital zurück.«
Der erste stimmte mit ein. »Nach den Bestimmungen unserer Gewerkschaft müssen Überstunden vierundzwanzig Stunden vorher angekündigt werden. Ich weiß nicht, was wir in so einem Fall machen sollen«, fügte er hinzu und deutete dabei mit der Schuhspitze auf die Trage, als sei sie ein Ding, das er auf der Straße gefunden hatte.
Einen Moment war Brunetti versucht, vernünftig mit ihnen zu reden, aber nicht lange. »Ihr beide bleibt hier und macht diese Tür nicht auf, bevor ich es sage.« Als keine Antwort kam, fragte er: »Verstanden? Beide?« Noch immer keine Antwort. »Verstehen Sie mich?«, wiederholte er.
»Aber die Gewerkschaft...«
»Zum Henker mit eurer Gewerkschaft und ihren Bestimmungen«, explodierte Brunetti. »Wenn ihr mit dieser Trage hier rausgeht, bevor ich es sage, sitzt ihr sofort im Knast, sowie ihr auf einen Gehweg spuckt oder öffentlich flucht. Ich will keinen Zirkus, wenn ihr ihn raus tragt. Ihr müsst also schon warten, bis ich entscheide, dass es soweit ist.« Ohne noch einmal nachzufragen, ob sie ihn jetzt verstanden hatten, drehte Brunetti sich um und schlug die Tür hinter sich zu.
In dem offenen Bereich am Ende des Korridors herrschte Chaos. Mitglieder des Ensembles, zum Teil noch in ihren Kostümen, liefen ziellos durcheinander und auch ohne zu hören, was sie sagten, merkte er an ihren aufgeregten Blicken zur Garderobentür hin, dass die Nachricht vom Tod sich herumgesprochen hatte. Er beobachtete, wie sie weiterverbreitet wurde, wie zwei die Köpfe zusammensteckten und dann einer sich abrupt drehte, um den Korridor hinunter zu stieren, zu der Tür, hinter der sich verbarg, was sie nur ahnen konnten. Wollten sie die Leiche sehen? Oder brauchten sie nur ein Gesprächsthema für morgen, an der Theke ihrer Bars?
Als er zu Signora Wellauer zurückkam, waren ein Mann und eine Frau bei ihr, beide erheblich älter als sie. Die Frau kniete neben ihr und hatte die Arme um die Witwe gelegt, die jetzt heftig schluchzte. Als er Brunetti sah, kam der Uniformierte zu ihm. »Ich habe doch gesagt, Sie können sie gehen lassen«, sagte Brunetti zu ihm.
»Soll ich mitgehen, Commissario?«
»Ja, tun Sie das. Wissen Sie, wo sie wohnt?«
»In der Nähe von San Moise.«
»Gut, das ist ja nicht weit«, meinte Brunetti und fügte hinzu: »Sie sollen mit niemandem sprechen«, denn ihm fielen die Reporter ein, die inzwischen sicher Wind bekommen hatten. »Nehmen Sie nicht den Bühnenausgang. Vielleicht gibt es ja einen Weg durchs Theater.«
»Ja, Commissario«, antwortete der Mann und salutierte dabei so zackig, dass Brunetti wünschte, die Sanitäter hätten es sehen können.
»Commissario?«, ertönte es plötzlich hinter ihm und als er sich umdrehte, sah er Corporal Miotti auf sich zukommen, den jüngsten der drei Polizisten, die er mitgebracht hatte.
»Was ist, Miotti?«
»Ich habe eine Liste der Leute, die heute Abend hier waren, Chor, Orchester, Bühnenpersonal, Sänger.«
»Wie viele sind es denn?«
»Über hundert, Commissario«, antwortete er seufzend, als wollte er sich für die vielen hundert Stunden Arbeit entschuldigen, die das bedeutete.
»Na ja«, meinte Brunetti und tat es achselzuckend ab. »Gehen Sie mal zum Portier runter und bringen Sie in Erfahrung, wie man durch diese Drehkreuze kommt. Und wie man sich ausweisen muss.« Der Caporale
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