Brunetti 01 - Venezianisches Finale
besser, dachte der, lächelte und antwortete freundlich: »Ja, vielleicht.« Er blickte in sein Programm, als müsse er den Namen des Mannes ablesen. »Signor Dardi, wie Sie inzwischen sicher gehört haben, ist Maestro Wellauer heute Abend gestorben.«
Der Sänger nahm die Nachricht mit einem leichten Neigen des Kopfes auf, nichts weiter.
Brunetti fuhr fort: »Ich wüsste gern alles, was Sie mir über heute Abend erzählen können, alles, was während der beiden ersten Akte vorgefallen ist.« Er hielt inne und Dardi nickte wieder, sagte jedoch immer noch nichts.
»Haben Sie heute Abend mit dem Maestro gesprochen?«
»Ich habe ihn kurz gesehen«, antwortete Dardi, schwang sich auf seinem Stuhl herum und widmete sich wieder dem Entfernen seines Make-ups. »Als ich ankam, sprach er gerade mit einem der Beleuchter, irgendetwas über den ersten Akt. Ich habe ›Buona sera‹ gesagt und bin dann hier in meine Garderobe gegangen, um mit meinem Make-up anzufangen. Wie Sie vielleicht sehen«, er deutete auf sein Spiegelbild, »dauert es ziemlich lange.«
»Wann war das?«, fragte Brunetti.
»Gegen sieben, würde ich sagen. Vielleicht etwas später. Viertel nach, aber sicher nicht danach.«
»Und haben Sie ihn dann noch einmal gesehen?«
»Meinen Sie hier oben oder hinter der Bühne?«
»Beides.«
»Danach habe ich ihn nur noch von der Bühne aus an seinem Pult gesehen.«
»War jemand bei Wellauer, als Sie ihn sahen?«
»Wie gesagt, er war im Gespräch mit einem der Beleuchter.«
»Ja, ich weiß. Aber vielleicht noch jemand anderes?«
»Franco Santore. In der Bar. Sie wechselten ein paar Worte. Aber da war ich schon im Begriff zu gehen.«
Obwohl er den Namen des Mannes kannte, fragte Brunetti: »Und wer ist dieser Signor Santore?«
Brunettis Unwissenheit schien Dardi nicht zu überraschen. Warum sollte ein Polizist auch den Namen eines der berühmtesten Theaterregisseure Italiens kennen?
»Er ist der Regisseur«, erklärte Dardi. Er wischte sich noch einmal mit dem Handtuch übers Gesicht und warf es dann auf den Schminktisch. »Es ist seine Inszenierung.« Der Sänger griff nach einer Seidenkrawatte ganz rechts auf dem Tisch, schob sie unter seinen Hemdkragen und band sie sorgfältig. »Haben Sie noch weitere Fragen?« Sein Tonfall war neutral.
»Nein, ich glaube, das ist alles. Vielen Dank für Ihre Hilfe. Wo können wir Sie erreichen, falls wir doch noch einmal mit Ihnen sprechen müssen, Signor Dardi?«
»Im Gritti«, antwortete der Sänger und diesmal war er sichtlich überrascht. Er warf Brunetti einen kurzen, erstaunten Blick zu, als hätte er gern gefragt, ob es wirklich noch andere Hotels in Venedig gab, traute sich aber nicht.
Brunetti dankte ihm und ging mit Follin hinaus. »Als nächstes den Tenor, ja?«, fragte er mit einem Blick auf das Programmheft.
Follin nickte und ging durch den Korridor voraus zu einer Tür am anderen Ende.
Brunetti klopfte, wartete einen Augenblick, hörte nichts. Er klopfte noch einmal, worauf von drinnen ein Geräusch kam, das er kurzerhand als Aufforderung zum Eintreten nahm. Als er die Tür öffnete, sah er einen kleinen, schmalen Mann fertig umgezogen dasitzen. Sein Mantel war über die Armlehne eines Sessels geworfen und in seiner Haltung kam das zum Ausdruck, was man ihm auf der Schauspielschule wahrscheinlich als ›verärgerte Ungeduld‹ beigebracht hatte.
»Ah, Signor Echeveste«, rief Brunetti überschwänglich und ging mit ausgestreckter Hand rasch auf ihn zu, so dass der andere nicht aufstehen musste. »Welch ungeheure Ehre, Sie kennen zu lernen.« Hätte Brunetti die gleiche Schauspielklasse besucht, hätte seine Übung wahrscheinlich den Titel ›Ehrfurcht in Gegenwart eines überwältigenden Talents‹ gehabt.
Wie ein Eisstrom im Frühling schmolz Echevestes Ärger unter der Wärme von Brunettis Schmeichelei dahin. Etwas mühsam erhob er sich und deutete eine kleine, förmliche Verbeugung an.
»Und mit wem habe ich die Ehre?«, fragte er auf Italienisch mit leichtem Akzent.
»Commissario Brunetti, Signore. Ich vertrete in dieser höchst unglückseligen Angelegenheit die Polizei.«
»Ah ja«, antwortete der andere, als hätte er einmal vor langer Zeit etwas von Polizei gehört, aber vergessen, was sie eigentlich tat. »Sie sind also wegen dieser - dieser«, er hielt inne, machte eine matte Handbewegung und wartete, dass ihm jemand das richtige Wort eingab. Und es kam: »... dieser unglückseligen Sache mit dem Maestro hier.«
»Ja, so ist es. Sehr
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