Brunetti 09 - Feine Freunde
Dann bückte er sich kurz und stellte die Aktentasche links von seinen Füßen auf den Boden, nur die Mappe behielt er auf dem Schoß.
»So?« meinte Brunetti und reichte ihm die andere Mappe wieder hinüber.
Rossi nahm sie und öffnete sie. Er schob die kleinere Mappe sorgsam wieder hinein und klappte das Ganze zu. »Ich muß Ihnen leider sagen, daß es gewisse Zweifel hinsichtlich des amtlichen Status Ihrer Wohnung gibt.«
»›Amtlicher Status‹?« wiederholte Brunetti, wobei er links an Rossi vorbei auf die solide Wand und dann nach oben zu der ebenso soliden Decke blickte. »Ich glaube, ich verstehe nicht so recht, was Sie damit meinen.«
»Es gibt hinsichtlich dieser Wohnung gewisse Zweifel«, sagte Rossi mit einem Lächeln, das Brunetti ein bißchen nervös vorkam. Ehe er aber wieder um Klärung bitten konnte, fuhr Rossi fort: »Das heißt, daß es im Ufficio Catasto keine Dokumente gibt, die besagen, daß für dieses gesamte Stockwerk jemals eine Baugenehmigung erteilt wurde, oder daß es nach dem Bau amtlich abgenommen wurde, oder...« - und hier lächelte er wieder - »... daß es überhaupt je gebaut wurde.« Er räusperte sich und fügte hinzu: »Nach unseren Unterlagen ist das Stockwerk unter diesem hier das oberste.«
Zuerst hielt Brunetti das für einen Witz, doch dann sah er das Lächeln im Gesicht des anderen schwinden und merkte daran, daß Rossi es ernst meinte. »Aber sämtliche Unterlagen sind bei den Dokumenten, die wir beim Kauf der Wohnung bekommen haben.«
»Könnten Sie mir diese Dokumente zeigen?«
»Natürlich«, sagte Brunetti und stand auf. Ohne sich zu entschuldigen, ging er in Paolas Arbeitszimmer, wo er einen Moment stehenblieb und die Buchrücken betrachtete, die drei Wände des Zimmers einnahmen. Schließlich griff er ins oberste Fach und zog einen großen, prall mit Papieren gefüllten Umschlag heraus, den er mit in das andere Zimmer nahm. An der Tür hielt er inne, um den Umschlag zu öffnen, und zog die graue Mappe heraus, die sie vor fast zwanzig Jahren von dem Notar bekommen hatten, der den Wohnungskauf für sie getätigt hatte. Dann ging er zu Rossi und gab ihm diese Mappe.
Rossi öffnete sie und begann zu lesen, wobei er mit dem Finger langsam die Zeilen entlangfuhr. Er blätterte um und las die nächste Seite, und so ging es weiter bis zum Ende. Einmal entfuhr ihm ein gedämpftes »Hmm«, aber er sagte nichts. Er las die ganze Akte, klappte sie zu und ließ sie auf seinen Knien liegen.
»Ist das alles an Dokumenten?« fragte Rossi.
»Ja, nur das.«
»Keine Pläne? Keine Baugenehmigungen?«
Brunetti schüttelte den Kopf. »Nein. An so etwas erinnere ich mich nicht. Das sind die einzigen Unterlagen zu dem Kauf, die wir damals bekommen haben. Ich glaube, seitdem habe ich sie nie mehr angesehen.«
»Sie sagen, Sie haben Jura studiert, Signor Brunetti?« fragte Rossi endlich.
»Ja, genau.«
»Praktizieren Sie als Anwalt?«
»Nein, das nicht«, antwortete Brunetti und beließ es dabei.
»Wenn Sie nämlich praktizierender Anwalt wären - oder damals gewesen wären, als Sie diesen Vertrag unterschrieben -, dann müßte ich mich doch sehr wundern, daß Sie auf Seite drei der Urkunde den Absatz übersehen haben, der besagt, daß Sie die Wohnung ›in dem äußerlichen Zustand und dem rechtlichen Status‹ kaufen, in dem sie sich Ihnen am Tag der Inbesitznahme präsentierte.«
»Das ist doch wohl die in allen Kaufverträgen übliche Formulierung«, sagte Brunetti, der sich vage an die Vorlesungen in Zivilrecht erinnerte und hoffte, daß er sich das richtig gemerkt hatte.
»Das mit dem äußerlichen Zustand ja, aber nicht das mit dem rechtlichen Status. Und ganz gewiß auch nicht dieser Satz«, sagte Rossi, wobei er die Mappe wieder aufschlug und suchte, bis er den Satz gefunden hatte: »›Bei Nichtvorliegen einer Baugenehmigung verpflichtet sich der Käufer, eine solche fristgerecht nachträglich zu beantragen, und stellt den Verkäufer hiermit von allen Verpflichtungen und Folgekosten frei, die sich aus dem rechtlichen Status der Wohnung und/oder dem Nichteinholen der nachträglichen Baugenehmigung ergeben könnten.‹« Rossi sah auf, und Brunetti meinte in seinen Augen eine tiefe Traurigkeit ob des bloßen Gedankens zu erkennen, daß ein Mensch so etwas unterschrieben haben konnte.
Brunetti erinnerte sich gar nicht an einen solchen Satz. Überhaupt waren sie damals beide so erpicht auf den Kauf der Wohnung gewesen, daß er nur getan hatte, was der Notar ihm
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