Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
es sich um ein Theaterstück oder eine TV-Seifenoper gehandelt hätte, wäre es Brunetti nicht schwergefallen, den Text beziehungsweise das Drehbuch zu verfassen, und als Regisseur hätte er genau gewußt, wie er dem Schauspieler, der den Rossi gab, beibringen würde, jeden Satz fahrig, entrüstet und, ja, mit verletztem Stolz vorzutragen.
»Ich verhafte Sie, Signor Mauro Rossi«, sagte er endlich, »wegen des Mordes an Maria Grazia Battestini.« Rossi starrte ihn aus weit aufgerissenen Augen an, die, wenn nicht Spiegel seiner Seele, so doch gewiß das Abbild jener Leere im stumpfen Blick seiner Empfangsdame waren. »Kommen Sie«, sagte Brunetti und wandte sich zum Gehen. Rossi stützte beide Handflächen auf die Tischplatte und stemmte sich schwerfällig aus seinem Sessel hoch. Als Brunetti sich nach ihm umdrehte, sah er, daß seine Hände auf dem Brief der Universität Padua ruhten, was Rossi indes nicht zu bemerken schien.
Eine Woche später war Rossi wieder aus der Haft entlassen, stand allerdings unter Hausarrest. Seinen Posten als Direttore della Pubblia Istruzione hatte er nicht verloren, sondern war auf unbestimmte Frist beurlaubt, während der Prozeß sich zäh und träge dahinschleppte.
Beim Verhör hatte er, in Gegenwart seines Anwalts, den Mord an Signora Battestini gestanden, sich allerdings für die Tatzeit auf einen Blackout berufen. Seiner Aussage zufolge hatte die Alte ihn einige Zeit vor ihrem Tod angerufen und zu einem Gespräch zitiert. Erst habe er sich geweigert, doch sie habe ihn bedroht und, bevor sie auflegte, verlangt, er solle sie zurückrufen, wenn er zur Vernunft gekommen sei. In der Hoffnung, daß sie mit sich reden ließe, hatte er am nächsten Tag tatsächlich bei ihr angerufen, aber sie hatte ihm wieder gedroht, und so blieb ihm keine andere Wahl, als hinzugehen.
Da hatte sie ihm dann eröffnet, daß sie mehr Geld verlange, fünfmal soviel. Und als er beteuerte, das könne er nicht zahlen, sagte sie, sie habe ihn im Fernsehen gesehen und wisse, daß ihm ein wichtiger Regierungsposten und ein fürstliches Gehalt in Aussicht stünden. Er hatte versucht, ihr klarzumachen, daß diese Beförderung noch längst nicht spruchreif sei und er lediglich darauf hoffen könne. Aber sie hatte ihm einfach nicht zugehört. Und als er von den beiden Kindern sprach, für die er sorgen müsse, da hatte sie ihn erst recht beschimpft und gekeift, sie habe keinen Sohn mehr, ihr Junge sei tot, und auch dafür müsse er bezahlen. Er hatte sie beruhigen wollen, aber sie war regelrecht hysterisch geworden und hatte - so behauptete er - versucht, ihn zu schlagen.
Dann erklärte sie plötzlich, sie wolle das Geld nicht mehr, sondern würde ihn vor aller Welt bloßstellen. Die Fenster standen offen, und sie drohte, es über die ganze Stadt hinauszuschreien, daß er ein falscher Doktor sei. Danach setzte angeblich sein Gedächtnis aus, und er konnte sich an nichts erinnern, bis zu dem Moment, als sie vor ihm am Boden lag. Wie das Erwachen aus einem Alptraum sei das gewesen, sagte er. Auch als Brunetti ihn ins Kreuzverhör nahm, blieb er dabei, daß er sich nicht erinnern könne, sie geschlagen zu haben. Erst angesichts der blutigen Statue in seiner Hand habe er begriffen, was geschehen sei.
Brunetti hatte das besonders einfallslos gefunden, aber im Grunde war dieses schamlos auf Entlastung zielende Geständnis insgesamt wenig einfallsreich. Rossis Anwalt hatte die ganze Zeit mit feierlich ernster Miene dabeigesessen und einmal sogar so etwas wie mitfühlendes Gemurmel von sich gegeben.
Die nackte Angst, behauptete Rossi, habe ihn aus dem Haus getrieben. Nein, er könne sich nicht erinnern, die Statue abgewischt zu haben, weil er sich, wie gesagt, an nichts erinnere; vor allem nicht daran, die Alte getötet zu haben; nur ihr Geschrei, das sei ihm im Gedächtnis geblieben, und wie sie nach ihm geschlagen habe.
Erst Brunettis Besuch in seinem Büro habe ihn veranlaßt, Signora Battestinis Speicher zu durchsuchen. Ja, natürlich hatte er von dem Brief aus Padua gewußt: Jahrelang hatte dieses Damoklesschwert über ihm geschwebt. Kurz nach der Geburt seines ersten Kindes, als er, um seine Familie unterhalten zu können, dringend einen besser dotierten Posten suchte, hatte er den falschen Doktortitel in seinen Lebenslauf geschmuggelt und sich in einer einfachen Druckerei die dazugehörige Urkunde anfertigen lassen. Die ersehnte Stelle hatte er zwar bekommen, aber von da an lebte er in ständiger Furcht vor
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