Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
die Unterkante fest.
Das Schreiben trug den Briefkopf der Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Padua und ein Datum, das zwölf Jahre zurücklag. Es war adressiert an die Personalabteilung der Schulbehörde von Venedig und lautete nach einer höflichen Grußformel wie folgt: »Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, daß unserer Fakultät nicht nur kein Nachweis über die Promotion eines Studenten namens Mauro Rossi zum Dr. phil. vorliegt, sondern daß unter diesem Namen und dem von Ihnen angegebenen Geburtsdatum an der hiesigen Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zu keiner Zeit eine Immatrikulation vorgenommen wurde.« Die Unterschrift war unleserlich, doch an der Echtheit des Universitätssiegels bestand keinerlei Zweifel.
Brunetti starrte auf den Text und traute seinen Augen nicht. Er versuchte sich die Urkunden ins Gedächtnis zu rufen, die in Rossis Büro hingen, allen voran das große, gerahmte Pergament mit seiner Ernennung zum Doktor der Philosophie - auf den Namen der Fakultät, von der er promoviert worden war, hatte Brunetti nicht geachtet.
Der Brief war an den Direktor der Personalabteilung gerichtet, doch Direktoren öffneten ihre Post sicher nicht selbst: Das war Sache der Sekretäre und Assistenten, denen es auch oblag, Lebensläufe zu prüfen und Bestätigungen für die darin gemachten Angaben einzuholen. Sie legten Empfehlungsschreiben ab, vermerkten die im Auswahlverfahren verteilten Zensuren und trugen all die vielen Puzzleteile zusammen, die sich im günstigen Falle zum Bild eines Menschen fügten, der einer Karriere oder Beförderung im Staatsdienst würdig war.
Vermutlich waren sie es auch, die hin und wieder Stichproben machten, um die Angaben in den Hunderten, wenn nicht Tausenden von Bewerbungen für einen der begehrten Posten im Staatsdienst auf ihren Wahrheitsgehalt zu überprüfen. Und wenn sie dabei auf eine Falschaussage stießen, konnten sie den Kandidaten bloßstellen, vielleicht sogar seine Entlassung aus dem öffentlichen Dienst erwirken. Oder sie behielten ihre Erkenntnisse für sich und nutzten sie, gewinnbringend, für ihre eigenen Zwecke.
Brunetti sah im Geiste die Familie Battestini vor sich, wie sie um ihren Wohnzimmertisch oder vielleicht auch vor dem Fernseher versammelt saß, und Papa Bär zeigte Mama Bär, was er und der kleine Bär ihr heute Schönes von der Arbeit mitgebracht hatten.
Ein Phantasiebild, das er jedoch schon im nächsten Augenblick energisch verscheuchte. Vorsichtig faßte er den Brief an einer Ecke und erhob sich.
»Was ist das, Commissario?« fragte Pucetti und deutete auf das Blatt.
»Der Grund dafür, daß Signora Battestini sterben mußte«, antwortete Brunetti und wandte sich zur Treppe, um der Spurensicherung entgegenzugehen.
Zuvor aber unterhielt er sich noch einmal mit dem holländischen Ehepaar, diesmal auf englisch, und fragte sie, ob ihnen seit ihrem Einzug im Hausflur oder auf der Treppe ein Fremder aufgefallen sei. Ja, bekam er zur Antwort, vor zwei Tagen habe Signora Battestinis Sohn bei ihnen geläutet, weil er seinen Schlüssel vergessen hatte - zumindest glaubten sie ihn so verstanden zu haben, setzten sie verlegen lächelnd hinzu. Er wollte nachsehen, ob die Fenster auf dem Dachboden geschlossen waren. Nein, sie hatten ihn nicht gebeten, sich auszuweisen: Wer außer dem Eigentümer hätte ein Interesse daran, auf den Speicher zu klettern? Er hatte sich ungefähr zwanzig Minuten oben aufgehalten, bis sie zu ihrem Italienischkurs mußten, aber als sie zurückkehrten, war er nicht mehr da, oder sie hatten ihn zumindest nicht die Treppe herunterkommen hören. Nein, sie waren nicht auf den Dachboden gestiegen, um nachzusehen: Sie hatten nur diese Wohnung gemietet und sahen sich nicht befugt, in andere Teile des Hauses vorzudringen.
Es dauerte einen Moment, bis Brunetti begriff, daß sie das ernst meinten, doch dann erinnerte er sich daran, daß sie Holländer waren, und glaubte ihnen.
»Könnten Sie mir den Sohn beschreiben?« bat er.
»Groß«, sagte der Mann.
»Und gutaussehend«, ergänzte seine Frau.
Der Mann sah sie scharf an, sagte aber nichts.
»Und wie alt würden Sie ihn schätzen?« fragte Brunetti die Frau.
»Ach, so Mitte vierzig vielleicht«, sagte sie. »Und stattlich. Er wirkte sehr sportlich«, schloß sie mit einem Blick auf ihren Mann, den Brunetti nicht zu deuten wußte.
»Verstehe«, sagte er trotzdem, bevor er angelegentlich das Thema wechselte. »An wen zahlen Sie eigentlich die
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