Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
Entdeckung. Und bei dem Streit mit Signora Battestini war er dieser Belastung offenbar endgültig erlegen. Er war gleichermaßen ein Opfer seiner Angst und ihrer Habgier.
Als Brunetti am Abend nach der Vernehmung bei Paola im Arbeitszimmer saß und ihr von Rossis Opferversion erzählte, prophezeite er, daß die Verteidigung genau darauf aufbauen würde.
»Er ist das Opfer, verstehst du«, sagte er bitter. Sie saßen drinnen und hatten Raffi und Sara die Terrasse überlassen, damit die beiden ungestört waren bei dem, was junge Leute im sanften Licht eines Spätsommerabends mit Blick über die Dächer von Venedig eben so tun.
»Und Signora Battestini ist keins.« Paola formulierte es nicht als Frage, sondern als Feststellung, eine traurige Wahrheit, die all jene mit einschloß, die bereits tot und folglich zu nichts mehr nütze waren. Brunetti fühlte sich unwillkürlich an ein besonders abstoßendes StalinZitat erinnert: »Kein Mensch - kein Problem.«
»Was wird mit ihm geschehen?« fragte Paola.
Brunetti konnte darauf zwar nicht mit Bestimmtheit antworten, aber der Ausgang ähnlich gelagerter Fälle, in denen der Ermordete zu Lebzeiten keinerlei Sympathie geweckt und der Mörder sich ebenfalls als Opfer stilisiert hatte, erlaubte ihm immerhin eine Prognose. »Wahrscheinlich wird man ihn verurteilen, das heißt, er bekommt etwa sieben Jahre, vielleicht auch weniger, aber bis das Urteil vollstreckt wird, können leicht zwei, drei Jahre vergehen, die er dann schon von seiner Strafe verbüßt hat.«
»Unter Hausarrest?« fragte sie.
»Auch das zählt«, sagte Brunetti.
»Und dann?«
»Dann wandert er ins Gefängnis, bis die Revision eingereicht ist, die das Verfahren erneut ins Rollen bringt. Aber weil die Revision ganz sicher zugelassen und er bestimmt nicht als eine Gefahr für die Gesellschaft angesehen wird, schicken sie ihn wohl wieder nach Hause.«
»Bis wann?«
»Bis die Revisionsverhandlung durch ist.« Bevor sie nachfragen konnte, fuhr er fort: »Was noch mal ein paar Jahre dauert, und selbst wenn es bei dem ursprünglichen Urteil bleibt, entscheiden die Richter höchstwahrscheinlich, daß er inzwischen lange genug gebüßt hat, und setzen ihn auf freien Fuß.«
»Einfach so?« fragte Paola.
»Na ja, ein paar Abweichungen wird es schon geben«, sagte Brunetti und griff nach dem Buch, das er vor dem Essen beiseite gelegt hatte.
»Und das ist alles?« Paolas Stimme klang mühsam beherrscht.
Er nickte und nahm das Buch auf den Schoß. Als sie schwieg, fragte er: »Liest du immer noch in Chiaras Katechismus?«
Sie schüttelte den Kopf. »Nein, das habe ich aufgegeben.«
»Vielleicht könntest du darin ja eine Antwort auf all diese Fragen finden.«
»Wo?« forschte sie. »Wie?«
»Indem du das tust, was du mir neulich geraten hast: eschatologisch denken«, sagte er. »Tod. Jüngstes Gericht. Himmel. Hölle.«
»Aber daran glaubst du doch gar nicht, oder?« fragte Paola verwundert.
»Manchmal wäre es ganz schön, wenn man's könnte«, sagte er und schlug sein Buch auf.
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