Brunetti 13 - Beweise, daß es böse ist
oder welchem Land.
»Es war ganz nett«, sagte sie schließlich ausweichend. »Aber es ist schön, wieder zu Hause zu sein. Und bei Ihnen? Gibt's was Neues?«
»Dann haben Sie es noch gar nicht gehört?« fragte er und strahlte vor Freude, weil er ihr die Schreckensnachricht als erster übermitteln durfte.
»Nein? Was denn?«
»Die Battestini, Ihre Nachbarin von gegenüber. Sie wissen von nichts?«
Ihr fielen die Fensterläden ein, und sie unterdrückte verschämt eine leise aufkeimende Hoffnung. »Nein. Ich weiß gar nichts. Was ist denn geschehen?« Sie legte die Zeitung auf die Theke und beugte sich zu ihm hinüber.
»Sie ist tot. Ermordet«, sagte er, andächtig das letzte Wort liebkosend.
Signora Gismondi verschlug es die Sprache. »Nein!« keuchte sie fassungslos. »Wie ist das passiert? Wann?«
»Vor ungefähr drei Wochen. Der Arzt, Sie wissen schon, der Doktor, der bei den alten Leuten Hausbesuche macht, also der hat sie gefunden. Mit eingeschlagenem Schädel.«
Er hielt inne, um die Wirkung seiner Worte abzuschätzen, und da sie ihm angemessen schien, fuhr er fort: »Mein Cousin kennt einen der Polizisten, die zum Tatort gerufen wurden, und der meinte, wer immer es getan hat, muß sie wirklich gehaßt haben. Zumindest behauptet mein Cousin, daß er das gesagt hat.«
Der Zeitungshändler musterte seine Zuhörerin. »Aber das hat sie ja wohl auch, hm? Die Alte gehaßt, meine ich.«
»Was?« fragte Signora Gismondi, die sich, noch ganz benommen von der unerwarteten Nachricht, auf seine rätselhafte Bemerkung keinen Reim machen konnte. »Wer? Ich weiß nicht, wen Sie meinen.«
»Na, die Rumänin. Die war's doch, die hat sie umgebracht.« Er weidete sich an ihrer Verwirrung und ging zum zweiten, noch spannenderen Akt seines Dramas über. »Ja, ja, sie hat noch versucht, außer Landes zu fliehen, wurde aber im Zug nach Rumänien geschnappt.«
Signora Gismondi war plötzlich blaß geworden, doch das war erst recht nach seinem Geschmack. »Oben an der Grenze hat man sie abgefangen. Ich glaube in Villa Opicina. Ganz abgebrüht saß sie da im Zug, nachdem sie nur wenige Stunden zuvor die alte Frau erschlagen hatte. Von den Grenzern hat sie auch einen angefallen und wollte ihn unter einen fahrenden Zug stoßen, aber der Mann konnte sich zum Glück gerade noch retten, und statt dessen hat es sie erwischt.« Er sah ihr entgeistertes Gesicht und ergänzte, wohl mehr aus Respekt vor seien Quellen: »So stand es jedenfalls in den Zeitungen, und so hab ich's auch von den Leuten gehört.«
»Wen hat's erwischt? Flori?«
»Hieß sie so, die Rumänin?« fragte er. Daß seine Kundin den Namen dieser Mörderin kannte, machte ihn mißtrauisch.
»Ja«, sagte Signora Gismondi. »Was ist mit ihr passiert?«
Die Frage schien ihn zu verblüffen. War es denn nicht sonnenklar, was passierte, wenn jemand von einem Zug überfahren wurde? »Ich hab's Ihnen doch gesagt, Signora«, versetzte er ungeduldig. »Sie ist unter den Zug geraten. Dort oben in Villa Opicina oder wo immer es war.« Der Mann war nicht besonders helle und hatte wenig Phantasie, weshalb diese Schilderung ihn nicht weiter berührte. Für ihn waren es nur Worte, und während er sie aussprach, sah er weder die Stahlräder vor sich, die, eine gewaltige Reibung erzeugend, über eisenblanke Schienen donnerten, noch konnte er sich ausmalen, was geschah, wenn ein Etwas, ein Jemand dazwischen zermalmt wurde.
Signora Gismondi stützte sich wie haltsuchend mit einer Hand auf den Zeitungsstapel. »Sie ist also tot?« fragte sie, als hätte der Mann gar nichts gesagt.
»Ja, sicher«, antwortete er ungehalten. Wie konnte man nur so begriffsstutzig sein? »Aber die arme alte Frau auch«, stieß er so entrüstet hervor, daß sie es im Ohr behielt.
»Natürlich«, sagte sie leise. »Grauenhaft, einfach grauenhaft.« Sie kramte ein paar Münzen aus der Tasche, legte sie auf die Theke, vergaß die Zeitung mitzunehmen und schwor sich, als sie den Laden verließ, ihn nie wieder zu betreten. Arme alte Frau. Arme alte Frau.
Sie verzichtete auf das Frühstück und kehrte auf dem schnellsten Weg in ihre Wohnung zurück, wo sie sich ins Internet einwählte und, obwohl sie das noch nie gemacht hatte, ja nicht einmal wußte, ob es überhaupt ging, den Gazzettino vom Tag nach ihrer Abreise aufrief. Jetzt bereute sie es, daß sie sich in London so konsequent abgeschottet hatte: keine Zeitungen und keine Nachrichten von daheim, kein Kontakt zu anderen Italienern. Es war fast, als
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