Schuster und das Chaos im Kopf - Kriminalroman
Prolog
Was für eine verrückte Idee, im Dunkeln und bei diesem Nebel im Bürgerpark joggen zu gehen. Verrückt und idiotisch.
Durch den dichten Nebel konnte man die Hand vor Augen kaum erkennen. Seit Tagen hatte es geregnet, der Boden war aufgeweicht und glitschig. Ein paar Mal war sie bereits ausgerutscht.
Weit und breit war niemand zu sehen, wahrscheinlich hatten sich alle wegen des scheußlichen Wetters in ihren Häusern verkrochen.
Sie sollte umkehren. Umdrehen und nach Hause zurücklaufen.
Seitenstechen machte sich bemerkbar, wie immer, wenn sie zu schnell lief und dabei falsch atmete.
Sie musste stehenbleiben und die Arme über dem Kopf ausstrecken. Sie machte ein paar tiefe Atemzüge.
Schon besser.
Ihr Schnürsenkel war offen. Sie beugte sich hinunter, um ihn neu zu binden.
Plötzlich hörte sie ein Geräusch; ein leises Rascheln.
Sie drehte den Kopf und starrte in die Richtung, doch sie konnte nichts erkennen.
Da, wieder das Geräusch. Es klang wie Schuhsohlen auf nassem Laub.
Da war nichts. Reiß dich zusammen, verdammt noch mal!
Du läufst jetzt weiter, achte auf deine Atmung. So ist’s gut. Ruhig und tief atmen ...
Sie lief weiter, etwas schneller jetzt.
Da war es wieder, das Rascheln. Es schien näher zu kommen.
Sie spürte ihren Pulsschlag im Hals pochen, und als sie einen Luftzug im Gesicht fühlte, hätte sie beinahe aufgeschrien.
Sie war jetzt direkt auf dem Weg, der in den Park führte.
Während sie versuchte, locker und leichtfüßig weiterzulaufen, lauschte sie angestrengt. Nein, alles war still.
Du Angsthase. Fast hättest du dir in die Hosen gemacht, was?
Plötzlich versperrte ihr eine Gestalt den Weg.
Wie aus dem Nichts war sie aufgetaucht, stand mitten auf dem Weg, und es sah aus, als würde sie direkt auf sie zukommen.
Was soll das? Wer ist das?
Genau in dem Moment spürte sie etwas Kaltes, Hartes in ihrer Brust, einen dumpfen Schlag. Instinktiv riss sie den rechten Arm hoch.
Ein weiterer Schlag.
Sie ging zu Boden, schlug hart auf dem Schotterweg auf.
Seltsam unbeteiligt nahm sie wahr, wie die Gestalt sich über sie beugte ...
Schlaflos
Mit hochgekrempelten Jeans watete Hauptkommissar Heiner Schuster durch den Schlamm, die Kapuze seiner Jacke tief ins Gesicht gezogen.
»Menschenskinder, was für eine Sauerei!«, fluchte er leise. Der Regen lief ihm in die Augen, und er musste blinzeln.
Die Kollegen hatten alle Öljacken oder Anoraks an, nur er trug wie immer seine Fleecejacke. Immerhin hatte sie eine Kapuze.
Er war als Letzter zum Fundort gekommen, weil sein alter Peugeot mal wieder nicht angesprungen war. Nur eines der Dinge, die gerade schiefliefen. Seit Silke ihn rausgeschmissen hatte, campierte er in einem heruntergekommenen Wohnwagen. Den hatte er sich von seinem Schwager ausgeliehen. Ein Wohnwagen war immer noch besser als eine dieser Pensionen, in der er sich noch unwohler gefühlt hätte. Allein bei dem bloßen Gedanken an ein Bett, in dem wildfremde Menschen gelegen hatten, wurde ihm übel.
Moritz Kuhn, sein neuer Kollege, stand im Weg herum und wurde vom Rechtsmediziner Carsten Stello, schlicht der Doc genannt, angeschnauzt. »Mensch, Kuhn, gehen Sie doch mal zur Seite!«
Sein anderer Kollege Gunnar Grätsch, der Schuster freundlicherweise seinen Garten als Campingplatz zur Verfügung stellte, schlug ihm zur Begrüßung kurz und schmerzhaft auf die Schulter.
»Moin, Heiner. Hast du diesmal schlafen können?«
Seit über 15 Jahren arbeiteten sie gemeinsam bei der Kripo Bremen, und im Laufe der Zeit war Gunnar Grätsch eine Art väterlicher Freund für Schuster geworden.
»Kaum. Wie lange liegt sie schon da?«, wollte Schuster wissen und wischte sich den Regen aus dem Gesicht.
Stello seufzte. »Ich würde sagen seit ungefähr neun, zehn Stunden. Bei dem Sauwetter kann ich das genau erst ...«
»… erst morgen sagen. Ja, ja«, vollendete Grätsch den Satz.
Schuster stellte sich neben ihn. »Tut mir leid wegen der Klospülung. Hoffentlich hab ich euch nicht geweckt. Ich wollte nicht draufdrücken, aber irgendwie ist’s dann doch passiert.«
Der Doc packte seine Sachen zusammen. »Wenn ihr schön bitte bitte sagt, verrat ich euch schon heute Abend, wie lange sie hier gelegen hat.«
Schuster ging um die Leiche herum und versuchte, sich jedes Detail zu merken – auch wenn es kein schöner Anblick war. Seine obligatorische weiße Mütze war bereits durchnässt und klebte ihm unangenehm am Kopf.
Ohne diese Mütze verließ er das Haus nicht. Auch
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