Brunetti 16 - Lasset die Kinder zu mir kommen
immer es war, haben sie eine dieser neumodischen Straßenlaternen genau bei uns gegenüber aufgestellt, und seitdem ist es dort nachts immer ganz hell. Ich weiß nicht, wie die Leute das ertragen. Wir schlafen bei geschlossenen Fensterläden, aber wenn man keine hat, kann ich mir nicht vorstellen, wie man so seine Nachtruhe findet, Sie vielleicht?«
»Keine Ahnung, Signora. Sie sagten, Sie hätten den mutmaßlichen Ehemann nie gesehen. Aber waren vielleicht irgendwann andere Personen bei der jungen Frau drüben?«
»Manchmal. Allerdings immer nur nachts. Na ja, so nach dem Abendessen, auch wenn ich sie, wie gesagt, nie habe kochen sehen. Aber irgendwas muß sie sich wohl gemacht haben, oder? Es sei denn, sie bekam die Mahlzeiten geliefert. Schwangere müssen schließlich essen. Also ich habe geschlungen wie ein Wolf, als meine Jungs unterwegs waren. Deshalb bin ich sicher, daß auch sie gegessen hat, bloß habe ich sie eben nie kochen sehen. Aber man kann eine schwangere Frau nicht einfach in irgendeiner Wohnung abstellen, ohne sie zu verköstigen, oder?«
»Gewiß nicht, Signora. Und wen haben Sie nun bei der jungen Frau in der Wohnung beobachtet?«
»Manchmal kamen abends Männer, setzten sich um den Küchentisch und redeten. Bei offenem Fenster, weil sie geraucht haben.«
»Wie viele Männer, Signora?«
»Drei. Sie saßen in der Küche am Tisch, unter der Lampe, und unterhielten sich.«
»Auf italienisch, Signora?«
»Lassen Sie mich nachdenken. Ja, sie haben italienisch gesprochen, aber es waren keine von uns. Keine Venezianer, meine ich. Den Dialekt habe ich zwar nicht erkannt, aber Veneziano war es auf keinen Fall.«
»Und diese Männer haben einfach nur dagesessen und geredet?«
»Ja.«
»Und die junge Frau?«
»Die habe ich nie gesehen, wenn die Männer da waren. Manchmal kam sie hinterher - nachdem die drei gegangen waren - in die Küche, vielleicht um sich ein Glas Wasser zu holen. Zumindest sah ich sie dann am Fenster.«
»Aber Sie haben nicht mit ihr gesprochen?«
»Nein. Ich hatte, wie gesagt, nie mit ihr oder diesen Männern zu tun. Ich habe die Kleine nur beobachtet und gehofft, sie würde tüchtig essen. Als ich mit Luca und Pietro schwanger war, da habe ich andauernd gegessen; ständig hatte ich so einen Heißhunger. Zum Glück habe ich aber nie übermäßig zugenommen, so daß -«
»Haben die Männer drüben gegessen, Signora?«
»Wie bitte? Nein, also ich kann mich nicht erinnern. Komisch nicht, jetzt, wo Sie mich drauf bringen? Getrunken haben sie auch nichts. Saßen bloß da und redeten, als ob sie auf ein Vaporetto warten würden oder so. Wenn sie weg waren, ging das Mädchen manchmal in die Küche, doch sie hat nie Licht gemacht. Das war schon merkwürdig: Sie hat nachts nie Licht gemacht, in der ganzen Wohnung nicht, soweit ich es mitbekam. Die Männer sah ich abends am Küchentisch sitzen, aber das Mädchen habe ich nur bei Tag gesehen und nachts höchstens dann, wenn sie mal an einem Fenster vorbeiging.«
»Und was geschah dann weiter?«
»Eines Nachts hörte ich sie ganz laut rufen, aber ich habe nichts verstanden. Eins der Wörter war vielleicht mamma, doch sicher bin ich mir nicht. Und dann hörte ich ein Baby schreien. Sie wissen, wie ein Neugeborenes klingt? Das ist mit nichts auf der Welt zu vergleichen. Ich weiß noch genau, als Luca zur Welt kam ...«
»War sonst noch jemand dort?«
»Was? Wann?«
»Bei der Geburt.«
»Also gesehen habe ich niemanden, wenn Sie das meinen, aber irgend jemand muß dagewesen sein. Man kann so ein junges Ding schließlich nicht mutterseelenallein entbinden lassen, nicht wahr?«
»Haben Sie sich seinerzeit mal gefragt, Signora, warum das Mädchen allein dort wohnte?«
»Oh, ich weiß nicht. Ich dachte wohl, ihr Mann würde irgendwo auf dem Festland arbeiten oder sie hätte vielleicht gar keinen. Ja, und dann kam das Kind vermutlich so schnell, daß sie es nicht mehr ins Krankenhaus geschafft hat.«
»Aber die Klinik ist doch nur ein paar Minuten von dort entfernt, nicht wahr, Signora?«
»Ich weiß, ich weiß. Doch es kommt schon mal vor, daß es einschlägt wie der Blitz. Meine beiden Söhne haben sich ja viel Zeit gelassen, aber ich weiß von Frauen, bei denen hat's nur eine halbe oder höchstens eine Stunde gedauert. Also dachte ich, bei ihr sei's auch so schnell gegangen. Jedenfalls hörte ich erst sie, gleich darauf das Baby, und danach war alles still.«
»Und was geschah dann, Signora?«
»Am Tag darauf oder vielleicht
Weitere Kostenlose Bücher