Buddenbrooks
Alles zog die Prozedur sehr in die Länge, denn immer, wenn der Konsul sprach, mußte Herr Wenzel das Messer von seinem Gesicht entfernen.
»Wohl geruht, Herr Konsul?«
»Danke, Wenzel. Gutes Wetter heute?«
»Frost und ein bißchen Schneenebel, Herr Konsul. Vor der Jacobi-Kirche haben die Jungens schon wieder 'ne Schleisterbahn, zehn Meter lang, daß ich beinah' hingeschlagen wär', als ich vom Bürgermeister kam. Hol' sie der Düwel …«
»Schon Zeitungen gesehen?«
{393} »Die Anzeigen und die Hamburger Nachrichten, ja. Nichts als Orsini-Bomben … Schauderhaft. Auf dem Weg in die Oper … Eine nette Gesellschaft da drüben …«
»Na, es hat nichts zu bedeuten, denke ich. Mit dem Volke hat das nichts zu thun, und der Effekt ist nun bloß, daß die Polizei und der Druck auf die Presse und all Das verdoppelt wird. Er ist auf seiner Hut … Ja, es ist eine ewige Unruhe, das muß wahr sein, denn er ist immer auf Unternehmungen angewiesen, um sich zu halten. Aber meinen Respekt hat er – ganz einerlei. Mit
den
Traditionen kann man wenigstens kein Dujack sein, wie Mamsell Jungmann sagt, und das mit der Bäckereikasse und den billigen Brotpreisen zum Beispiel hat mir wahrhaftig imponiert. Er thut ohne Zweifel eine Menge fürs Volk …«
»Ja, das sagte Herr Kistenmaker vorhin auch schon.«
»Stephan? Wir sprachen gestern darüber.«
»Und mit Friedrich Wilhelm von Preußen, das steht schlimm, Herr Konsul, das wird nichts mehr. Man sagt schon, daß der Prinz endgültig Regent werden soll …«
»O, darauf muß man gespannt sein. Er hat sich schon jetzt als ein liberaler Kopf gezeigt, dieser Wilhelm und steht sicher der Konstitution nicht mit dem geheimen Ekel seines Bruders gegenüber … Es ist doch am Ende nur der Gram, der ihn aufreibt, den armen Mann … Was Neues aus Kopenhagen?«
»Gar nichts, Herr Konsul. Sie wollen nicht. Da hat der Bund gut erklären, daß die Gesamtverfassung für Holstein und Lauenburg rechtswidrig ist … Sie sind da oben ganz einfach nicht dafür zu haben, sie aufzuheben …«
»Ja, es ist ganz unerhört, Wenzel. Sie fordern den Bundestag ja zur Exekution heraus, und wenn er ein bißchen alerter wäre … Ach ja, diese Dänen! Ich erinnere mich lebhaft, wie ich mich schon als ganz kleiner Junge beständig über einen Gesangvers ärgerte, der anfing: ›Gieb mir, gieb allen denen, die sich von Herzen sehnen …‹ wobei ich ›Denen‹ im Geiste immer mit ›ä‹ {394} schrieb und nicht begriff, daß der Herrgott auch den Dänen irgend etwas geben sollte …
Sehen Sie sich mit der spröden Stelle vor, Wenzel, Sie lachen … Nun, und jetzt wieder mit unserer direkten Hamburger Eisenbahn! Das hat schon diplomatische Kämpfe gekostet und wird noch welche kosten, bis sie in Kopenhagen die Konzession geben …«
»Ja, Herr Konsul, und das Dumme ist, daß die Altona-Kieler Eisenbahngesellschaft und genau besehen ganz Holstein dagegen ist; das sagte Bürgermeister Doktor Oeverdieck vorhin auch schon. Sie haben eine verfluchte Angst für den Aufschwung von Kiel …«
»Versteht sich, Wenzel. Solche neue Verbindung zwischen Ost- und Nordsee … Und Sie sollen sehn, die Altona-Kieler wird nicht aufhören, zu intriguieren. Sie sind imstande, eine Konkurrenzbahn zu bauen: Ostholsteinisch, Neumünster-Neustadt, ja, das ist nicht ausgeschlossen. Aber wir dürfen uns nicht einschüchtern lassen, und direkte Fahrt nach Hamburg müssen wir haben.«
»Herr Konsul nehmen sich der Sache warm an.«
»Tja … soweit das in meinen Kräften steht, und soweit mein bißchen Einfluß reicht … Ich interessiere mich für unsere Eisenbahnpolitik, und das ist Tradition bei uns, denn mein Vater hat schon seit 51 dem Vorstand der Büchener Bahn angehört, und daran liegt es denn auch wohl, daß ich mit meinen zweiunddreißig Jahren hineingewählt bin; meine Verdienste sind ja noch nicht beträchtlich …«
»O, Herr Konsul; nach Herrn Konsuls Rede damals in der Bürgerschaft …«
»Ja, damit habe ich wohl etwas Eindruck gemacht, und der gute Wille ist jedenfalls vorhanden. Ich kann nur dankbar sein, wissen Sie, daß mein Vater, Großvater und Urgroßvater mir die Wege geebnet haben, und daß viel von dem Vertrauen und dem {395} Ansehen, das sie sich in der Stadt erworben haben, ohne Weiteres auf mich übertragen wird, denn sonst könnte ich mich gar nicht so regen … Was hat zum Beispiel nach 48 und zu Anfang dieses Jahrzehnts mein Vater nicht Alles für die Reformation
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