Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
ersten Gerücht von dem Ableben dieses alten Ratsherren war die eine große Frage aufgetaucht … als aber die Erde ihn deckte, war es diese Frage allein, die alle Gemüter beherrschte: Wer ist der Nachfolger?
    Welche Spannung und welche unterirdische Geschäftigkeit! Der Fremde, der gekommen ist, die mittelalterlichen Sehenswürdigkeiten und die anmutige Umgebung der Stadt in Augenschein zu nehmen, merkt nichts davon; aber welch Treiben unter der Oberfläche! Welche Agitation! Ehrenfeste, gesunde, von keiner Skepsis angekränkelte Meinungen platzen aufeinander, poltern vor Überzeugung, prüfen einander und verständigen sich langsam, langsam. Die Leidenschaften sind aufgeregt. Ehrgeiz und Eitelkeit wühlen im Stillen. Eingesargte Hoffnungen regen sich, stehen auf und werden enttäuscht. Der alte Kaufmann Kurz in der Bäckergrube, der bei jeder Wahl drei oder vier Stimmen erhält, wird wiederum am Wahltage bebend in seiner Wohnung sitzen und des Rufes harren; aber er wird auch diesmal nicht gewählt werden, er wird fortfahren mit {449} einer Miene voll Biedersinn und Selbstzufriedenheit, das Trottoir mit seinem Spazierstock zu stoßen, und er wird sich mit diesem heimlichen Grame ins Grab legen, nicht Senator geworden zu sein …
    Als James Möllendorpfs Tod am Donnerstage beim Buddenbrookschen Familien-Mittagessen besprochen worden war, hatte Frau Permaneder nach einigen Ausdrücken des Bedauerns begonnen, ihre Zungenspitze an der Oberlippe spielen zu lassen und verschlagen zu ihrem Bruder hinüberzublicken, was die Damen Buddenbrook veranlaßt hatte, unbeschreiblich spitzige Blicke zu tauschen, und dann sämtlich, wie auf Kommando, während einer Sekunde Augen und Lippen ganz fest zu schließen. Der Konsul hatte einen Moment das listige Lächeln seiner Schwester erwidert und dann dem Gespräche eine andere Richtung gegeben. Er wußte, daß man in der Stadt den Gedanken aussprach, den Tony glückselig in sich bewegte …
    Namen wurden genannt und verworfen. Andere tauchten auf und wurden gesichtet. Henning Kurz in der Bäckergrube war zu alt. Eine frische Kraft war endlich vonnöten. Konsul Huneus, der Holzhändler, dessen Millionen übrigens nicht leicht ins Gewicht gefallen wären, war verfassungsmäßig ausgeschlossen, weil sein Bruder dem Senate angehörte. Konsul Eduard Kistenmaker, der Weinhändler, und Konsul Hermann Hagenström behaupteten sich auf der Liste. Von Anfang an aber klang beständig dieser Name mit: Thomas Buddenbrook. Und je mehr der Wahltag sich näherte, desto klarer ward es, daß er zusammen mit Hermann Hagenström die meisten Chancen besaß.
    Kein Zweifel, Hermann Hagenström hatte Anhänger und Bewunderer. Sein Eifer in öffentlichen Angelegenheiten, die frappierende Schnelligkeit, mit der die Firma Strunck & Hagenström emporgeblüht war und sich entfaltet hatte, des Konsuls luxuriöse Lebensführung, das Haus, das er führte, und die {450} Gänseleberpastete, die er frühstückte, verfehlten nicht, ihren Eindruck zu machen. Dieser große, ein wenig zu fette Mann mit seinem rötlichen, kurzgehaltenen Vollbart und seiner ein wenig zu platt auf der Oberlippe liegenden Nase, dieser Mann, dessen Großvater noch niemand und er selbst nicht gekannt hatte, dessen Vater infolge seiner reichen aber zweifelhaften Heirat gesellschaftlich noch beinahe unmöglich gewesen war, und der dennoch, verschwägert sowohl mit den Huneus als mit den Möllendorpfs, seinen Namen denjenigen der fünf oder sechs herrschenden Familien angereiht und gleichgestellt hatte, war unleugbar eine merkwürdige und respektable Erscheinung in der Stadt. Das Neuartige und damit Reizvolle seiner Persönlichkeit, das, was ihn auszeichnete und ihm in den Augen Vieler eine führende Stellung gab, war der liberale und tolerante Grundzug seines Wesens. Die legere und großzügige Art, mit der er Geld verdiente und verausgabte, war etwas anderes, als die zähe, geduldige und von streng überlieferten Prinzipien geleitete Arbeit seiner kaufmännischen Mitbürger. Dieser Mann stand frei von den hemmenden Fesseln der Tradition und der Pietät auf seinen eigenen Füßen, und alles Altmodische war ihm fremd. Er bewohnte keines der alten, mit unsinniger Raumverschwendung gebauten Patrizierhäuser, um deren ungeheure Steindielen sich weißlackierte Gallerien zogen. Sein Haus in der Sandstraße – der südlichen Verlängerung der Breitenstraße – mit schlichter Ölfassade, praktisch ausgebeuteten Raumverhältnissen und reicher,

Weitere Kostenlose Bücher