Buddenbrooks
zähmte … Gäbe es eine Gerechtigkeit auf Erden, so hätte schon sein Vater, schon der Vater seines Vaters dem Senate angehören müssen …«
Im Grunde jedoch war es nicht sowohl Konsul Buddenbrook selbst, dessen Persönlichkeit das Innere des Herrn Gosch in Flammen setzte, als vielmehr die junge Frau Konsul, geborene Arnoldsen. Nicht alsob der Makler jemals ein Wort mit ihr gewechselt hätte. Er gehörte nicht zu dem Kreise der reichen Kaufleute, speiste nicht an ihren Tafeln und tauschte nicht Visiten mit ihnen. Aber, wie schon erwähnt, Gerda Buddenbrook war nicht sobald in der Stadt erschienen, als der immer sehnsüchtig nach Außerordentlichem schweifende Blick des finsteren Maklers sie auch schon erspäht hatte. Mit sicherem Instinkte hatte er alsbald erkannt, daß diese Erscheinung geeignet sei, seinem unbefriedigten Dasein ein wenig mehr Inhalt zu verleihen, und mit Leib und Seele hatte er sich ihr, die ihn kaum dem Namen nach kannte, als Sklave ergeben. Seitdem umkreiste er in Gedanken diese nervöse und aufs äußerste reservierte Dame, der niemand ihn vorstellte, wie der Tiger den Bändiger: mit demselben verbissenen Mienenspiel, derselben tückisch-demütigen Haltung, in der er auf der Straße, ohne daß sie das erwartet hätte, seinen Jesuitenhut vor ihr zog … Diese Welt der Mittelmäßigkeit bot ihm keine Möglichkeit, für diese Frau eine That von gräßlicher Ruchlosigkeit zu begehen, welche er, bucklig, düster und kalt in seinen Mantel gehüllt, mit teuflischem Gleichmut verantwortet haben würde! Ihre langweiligen Gewohnheiten gestatteten ihm nicht, diese Frau durch Mord, Verbrechen und blutige Listen auf einen Kaiserthron zu erhöhen. Nichts ließ sie ihm übrig, als im Rathause für die Wahl ihres ingrimmig verehrten Gatten zu stimmen und {454} ihr, vielleicht, dereinst, die Übersetzung von Lope de Vegas sämtlichen Dramen zu widmen.
4.
Jede im Senate erledigte Stelle muß binnen vier Wochen wieder besetzt werden; so will es die Verfassung. Drei Wochen sind seit James Möllendorpfs Hintritt verflossen, und nun ist der Wahltag herangekommen, ein Tauwettertag am Ende des Februar.
In der Breitenstraße, vor dem Rathause mit seiner durchbrochenen Glasurziegel-Fassade, seinen spitzen Türmen und Türmchen, die gegen den grauweißlichen Himmel stehen, seinem auf vorgeschobenen Säulen ruhenden gedeckten Treppenaufgang, seinen spitzen Arkaden, die den Durchblick auf den Marktplatz und seinen Brunnen gewähren … vorm Rathause drängen sich mittags um 1 Uhr die Leute. Sie stehen unentwegt in dem schmutzig-wässerigen Schnee der Straße, der unter ihren Füßen vollends zergeht, sehen sich an, sehen wieder gradeaus und recken die Hälse. Denn dort, hinter jenem Portale, im Ratssaale, mit seinen vierzehn im Halbkreise stehenden Armsesseln, erwartet noch zu dieser Stunde die aus Mitgliedern des Senates und der Bürgerschaft bestehende Wahlversammlung die Vorschläge der Wahlkammern …
Die Sache hat sich in die Länge gezogen. Es scheint, daß die Debatten in den Kammern sich nicht beruhigen wollen, daß der Kampf hart ist, und daß, bis jetzt, der Versammlung im Ratssaale keineswegs ein und dieselbe Person vorgeschlagen wurde, denn sie würde vom Bürgermeister sofort als gewählt erklärt werden … Sonderbar! Niemand begreift, woher sie kommen, wo und wie sie entstehen, aber Gerüchte dringen aus dem Portale auf die Straße heraus und verbreiten sich. Steht dort drinnen Herr Kaspersen, der ältere der beiden Ratsdiener, der sich selbst nie anders als »Staatsbeamter« nennt, und diri {455} giert, was er erfährt, mit geschlossenen Zähnen und abgewandten Augen durch einen Mundwinkel nach draußen? Jetzt heißt es, daß die Vorschläge im Sitzungssaale eingelaufen sind, und daß von jeder der drei Kammern ein anderer vorgeschlagen wurde: Hagenström, Buddenbrook, Kistenmaker! Gott gebe, daß nun wenigstens die allgemeine Wahl durch geheime Abstimmung mittelst Stimmzettel eine unbedingte Stimmenmehrheit ergiebt! Wer nicht warme Überschuhe trägt, fängt an, die Beine zu heben und zu stampfen, denn die Füße schmerzen vor Kälte.
Es sind Leute aus allen Volksklassen, die hier stehen und warten. Man sieht Seeleute mit bloßem, tätowiertem Halse, die Hände in den weiten, niedrigen Hosentaschen, Kornträger mit ihren Blusen und Kniehosen aus schwarzem Glanzleinen und ihrem unvergleichlich biederen Gesichtsausdruck; Fuhrleute, die von ihren zu Hauf geschichteten Getreidesäcken geklettert
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