Buddenbrooks
Was geht es ihn an, wenn wir Geschäfte gemacht haben? Wenn du und deine Schwester eine tüchtige Portion mehr bekommen werden? Wenn von dem Erbteil, das euer ist, ein Haus gekauft wurde …«
»Wenn Sie verstünden, Vater, in welchem Dilemma ich mich befinde! Um der Familieneintracht willen müßte ich raten … aber …« Der Konsul seufzte leise auf, an seinen Stuhl gelehnt. Johann Buddenbrook spähte, gestützt auf die Löschstange, auf {53} merksam in das unruhige Halbdunkel hinein, um den Gesichtsausdruck des Sohnes zu erforschen. Die vorletzte Kerze war heruntergebrannt und von selbst erloschen; nur eine flakkerte noch, dort hinten. Dann und wann trat eine hohe, weiße Figur ruhig lächelnd aus der Tapete hervor und verschwand wieder.
»Vater, – dieses Verhältnis mit Gotthold bedrückt mich!« sagte der Konsul leise.
»Unsinn, Jean, keine Sentimentalität! Was bedrückt dich?«
»Vater, … wir haben hier heute so heiter bei einander gesessen, wir haben einen schönen Tag gefeiert, wir waren stolz und glücklich in dem Bewußtsein, etwas geleistet zu haben, etwas erreicht zu haben … unsere Firma, unsere Familie auf eine Höhe gebracht zu haben, wo ihr Anerkennung und Ansehen im reichsten Maße zu Teil wird … Aber, Vater, diese böse Feindschaft mit meinem Bruder, deinem ältesten Sohne … Es sollte kein heimlicher Riß durch das Gebäude laufen, das wir mit Gottes gnädiger Hilfe errichtet haben … Eine Familie muß einig sein, muß zusammenhalten, Vater, sonst klopft das Übel an die Thür …«
»Flausen, Jean! Possen! Ein obstinater Junge …«
Es entstand eine Pause; die letzte Flamme senkte sich tiefer und tiefer.
»Was machst du, Jean?« fragte Johann Buddenbrook. »Ich sehe dich gar nicht mehr.«
»Ich rechne«, sagte der Konsul trocken. Die Kerze flammte auf, und man sah, wie er gerade aufgerichtet und mit Augen, so kalt und aufmerksam, wie sie während des ganzen Nachmittags noch nicht darein geschaut hatten, fest in die tanzende Flamme blickte. – »Einerseits: Sie geben 33 335 an Gotthold und 15 000 an die in Frankfurt, und das macht 48 335 in Summa. Andererseits: Sie geben nur 25 000 an die in Frankfurt, und das bedeutet für die Firma einen Gewinn von 23 335. Das ist aber {54} nicht alles. Gesetzt, Sie leisten an Gotthold eine Entschädigungssumme für den Anteil am Hause, so ist das Prinzip durchbrochen, so ist er damals
nicht
endgültig abgefunden worden, so kann er nach Ihrem Tode ein gleich großes Erbe beanspruchen, wie meine Schwester und ich, und dann handelt es sich für die Firma um einen Verlust von Hunderttausenden, mit dem sie nicht rechnen kann, mit dem ich als künftiger alleiniger Inhaber nicht rechnen kann … Nein Papa!« beschloß er mit einer energischen Handbewegung und richtete sich noch höher auf. »Ich muß Ihnen abraten, nachzugeben!« –
»Na also! Punktum! N'en parlons plus! En avant! Ins Bett!«
Das letzte Flämmchen verlosch unter dem Metallhütchen. In dichter Finsternis schritten die Beiden durch die Säulenhalle, und draußen, beim Aufgang zum zweiten Stocke, schüttelten sie einander die Hand.
»Gut' Nacht, Jean … Courage, du? Das sind so Ärgerlichkeiten … Auf Wiedersehen morgen beim Frühstück!«
Der Konsul stieg die Treppe hinauf in seine Wohnung, und der Alte tastete sich am Geländer ins Zwischengeschoß hinunter. Dann lag das weite alte Haus wohlverschlossen in Dunkelheit und Schweigen. Stolz, Hoffnungen und Befürchtungen ruhten, während draußen in den stillen Straßen der Regen rieselte und der Herbstwind um Giebel und Ecken pfiff.
{55} Zweiter Teil.
1.
Zwei und ein halbes Jahr später, um die Mitte des April schon, war zeitiger als jemals der Frühling gekommen, und zu gleicher Zeit war ein Ereignis eingetreten, das den alten Johann Buddenbrook vor Vergnügen trällern machte und seinen Sohn aufs freudigste bewegte.
Um 9 Uhr, eines Sonntag morgens, saß der Konsul im Frühstückszimmer vor dem großen, braunen Sekretär, der am Fenster stand und dessen gewölbter Deckel vermittelst eines witzigen Mechanismus zurückgeschoben war. Eine dicke Ledermappe, gefüllt mit Papieren, lag vor ihm; aber er hatte ein Heft mit gepreßtem Umschlage und Goldschnitt herausgenommen und schrieb, eifrig darüber gebeugt, in seiner dünnen, winzig dahineilenden Schrift, – emsig und ohne Aufenthalt, es sei denn, daß er die Gänsefeder in das schwere Metall-Tintenfaß tauchte …
Die beiden Fenster standen offen, und
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