Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
Vom Netzwerk:
gesegnet. Er hatte die Pocken gehabt so stark, daß alle Leute ihm das Leben absprachen, aber er war gerettet worden. Einmal – er war noch ein Knabe – hatte er den Vorbereitungen zu einer Hochzeit beigewohnt, wobei viel Bier gebraut wurde (denn es bestand die alte Sitte, das Bier im Hause zu brauen), und zu diesem Ende stand ein großes Brau-Küben vor der Thüre aufgerichtet. Nun, dasselbe schlug nieder und die Bodenseite auf den Knaben, mit solchem Knall und solcher Gewalt, daß die Nachbarn vor die Thüre kamen und ihrer sechs genug zu thun hatten, es wieder aufzurichten. Sein Kopf ward gequetscht, und das Blut rann heftig über alle seine Gliedmaßen. Er wurde in einen Laden getragen, und da noch ein wenig Leben in ihm war, ward zum Doktor und zum Wundarzt geschickt. Dem Vater aber sprach man zu, er möge sich in Gottes Willen schicken, es sei unmöglich, daß der Knabe am Leben bliebe … Und nun höre: Gott der Allmächtige segnete die Mittel und half ihm wieder zur vollkommenen Gesundheit! – Als der Konsul diesen Unglücksfall im Geiste aufs neue erlebt hatte, ergriff er noch einmal die Feder und schrieb hinter sein letztes Amen: »Ja, Herr, ich will dich loben ewiglich!« –
    Ein anderes Mal, als er, ein ganz junger Mensch noch, nach Bergen gekommen war, hatte Gott ihn aus großer Wassersgefahr errettet. »Indem wir«, stand dort, »in der Stromzeit, wenn die Nordfahrer angekommen sind, sehr viel arbeiten mußten, durch die Jagden zu kommen und zu unserer Brücke zu gelangen, so ging es mir dabei so, daß ich auf dem Rande der Schute stand, die Füße gegen die Dollen und den Rücken gegen die Jagd gestützt, um die Schute immer näher zu bringen; zu meinem Unglück brechen die eichnen Dollen, wogegen ich die Füße gesetzt hatte, und ich falle über Kopf ins Wasser. Ich komme zum erstenmal auf, aber niemand ist so nahe, daß er mich fassen kann; ich komme zum zweitenmal auf, allein die {59} Schute geht mir über den Kopf. Es waren Leute genug da, die mich gerne retten wollten, allein sie mußten erst schieben, daß die Jagd und Schute nicht über mich kämen, und all' ihr Schieben hätte doch nichts geholfen, wenn nicht in diesem Augenblick ein Tau auf einer Nordfahrer-Jagd von selbst gerissen wäre, wodurch die Jagd hinaustrieb und ich also durch Gottes Verhängnis Raum erhielt, und obwohl ich zum drittenmal nicht weiter aufkam, als daß nur die Haare zur Sicht kamen, so gelang es, weil alle die Köpfe, der eine hier, der andere dort, aus der Schute über dem Wasser waren, daß Einer, der nach vorne zu aus der Schute lag, mich an den Haaren faßte, und ich griff ihn am Arm. Allein da er sich selbst nicht halten konnte, schrie und brüllte er so gewaltig, daß die anderen es hörten und ihn so geschwind an den Hüften faßten und mit Macht festhielten, daß er Stand halten konnte. Auch ich hielt immer fest, wenngleich er mich in den Arm biß, und kam es dadurch dahin, daß er auch mir helfen konnte …« Und dann folgte ein sehr langes Dankgebet, das der Konsul mit feuchten Augen überlas.
    »Ich könnte gar Vieles anführen«, hieß es an anderer Stelle, »wenn ich gewilligt wäre, meine Leidenschaften zu entdecken, allein …« Nun, hierüber ging der Konsul hinweg und begann, hie und da ein paar Zeilen aus der Zeit seiner Verheiratung und seiner ersten Vaterschaft zu lesen. Diese Verbindung war, sollte er ehrlich sein, nicht gerade das gewesen, was man eine Liebesheirat nennt. Sein Vater hatte ihm auf die Schulter geklopft und ihn auf die Tochter des reichen Kröger, die der Firma eine stattliche Mitgift zuführte, aufmerksam gemacht, er war von Herzen einverstanden gewesen und hatte fortan seine Gattin verehrt, als die ihm von Gott vertraute Gefährtin …
    Mit der zweiten Heirat seines Vaters hatte es sich ja nicht anders verhalten.
    {60} »Ein guter Mann, ein braver Mann,
    Ein Mann von Complaisancen« …
    trällerte er leise im Schlafzimmer. Bedauerlich, wie wenig Sinn er für alle diese alten Aufzeichnungen und Papiere besaß. Er stand mit beiden Beinen in der Gegenwart und beschäftigte sich nicht viel mit der Vergangenheit der Familie, wenngleich er ehemals dem dicken Goldschnitt-Heft immerhin ein paar Notizen in seiner etwas schnörkeligen Handschrift hinzugefügt hatte, und zwar hauptsächlich in betreff seiner ersten Ehe.
    Der Konsul schlug die Blätter auf, die stärker und rauher waren, als das Papier, das er selbst hineingeheftet, und die schon zu vergilben begannen … Ja,

Weitere Kostenlose Bücher