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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Doktor Cremer, der alte Polizeichef; Onkel Christian und sein Schulfreund, Senator Gieseke, der ebenfalls ohne Familie war und Alles für Christian Buddenbrook bezahlte … Später, wenn die Erwachsenen zu den Klängen der Musik unter dem Zeltdache der Konditorei den Kaffee tranken, saß Hanno auf einem Stuhle unermüdlich vor den Stufen des Tempels und lauschte … Es war gesorgt für den Nachmittag. Es gab eine Schießbude im Kurgarten, und zur Rechten der Schweizerhäuser standen die Stallgebäude mit Pferden, Eseln und den Kühen, deren Milch man warm, schaumig und duftend zur Vesperstunde trank. Man konnte einen Spaziergang machen, in das Städtchen, die »Vorderreihe« entlang; man konnte von dort aus mit einem Boote zum »Priwal« übersetzen, an dessen Strande es Bernstein zu finden gab, konnte sich auf dem Kinderspielplatze an einer Krocket-Partie beteiligen oder sich auf einer Bank des bewaldeten Hügels, der {698} hinter den Hôtels gelegen war, und auf dem die große Table d'hôte-Glocke hing, von Ida Jungmann vorlesen lassen … Und doch war das Klügste stets, zur See zurückzukehren und noch im Zwielicht, das Gesicht dem offenen Horizonte zugewandt, auf der Spitze des Bollwerks zu sitzen, den großen Schiffen, die vorüberglitten, mit dem Taschentuch zuzuwinken und zu horchen, wie die kleinen Wellen mit leisem Plaudern wider die Steinblöcke klatschten und die ganze Weite ringsum von diesem gelinden und großartigen Sausen erfüllt war, das dem kleinen Johann gütevoll zusprach und ihn beredete, in ungeheurer Zufriedenheit seine Augen zu schließen. Dann aber sagte Ida Jungmann: »Komm, Hannochen; müssen gehen; Abendbrotzeit; wirst dir den Tod holen, wenn du hier wirst schlafen wollen …« Welch ein beruhigtes, befriedigtes und in wohlthätiger Ordnung arbeitendes Herz er immer mitnahm vom Meere! Und wenn er sein Abendbrot mit Milch oder stark gemalztem Braunbier im Zimmer gegessen hatte, während seine Mutter später in der Glasveranda des Kurhauses in größerer Gesellschaft speiste, so senkte sich, kaum daß er wieder zwischen dem altersdünnen Linnen seines Bettes lag, zu den sanften und vollen Schlägen eben dieses befriedigten Herzens und den gedämpften Rhythmen des Abendkonzertes ganz ohne Schrecken und Fieber der Schlaf über ihn …
    Am Sonntag erschien, gleich einigen anderen Herren, die während der Woche von ihren Geschäften in der Stadt zurückgehalten wurden, der Senator bei den Seinen und blieb bis zum Montag Morgen. Aber obgleich dann Eis und Champagner an der Table d'hôte serviert ward, obgleich Eselritte und Segelpartieen in die offene See hinaus veranstaltet wurden, liebte der kleine Johann diese Sonntage nicht sehr. Die Ruhe und Abgeschlossenheit des Bades war gestört. Eine Menge von Leuten aus der Stadt, die gar nicht hierher gehörten, »Eintagsfliegen aus dem guten Mittelstande«, wie Ida Jungmann sie mit wohl {699} wollender Geringschätzung nannte, bevölkerte am Nachmittage Kurgarten und Strand, um Kaffee zu trinken, Musik zu hören, zu baden, und Hanno hätte am liebsten im geschlossenen Zimmer den Abfluß dieser festlich geputzten Störenfriede erwartet … Nein, er war froh, wenn am Montag Alles wieder ins alltägliche Geleise kam, wenn auch die Augen seines Vaters, diese Augen, denen er sechs Tage lang fern gewesen war, und die, er hatte es wohl gefühlt, während des ganzen Sonntages wieder kritisch und forschend auf ihm geruht hatten, nicht mehr da waren …
    Und vierzehn Tage waren vorbei, und Hanno sagte sich und beteuerte es Jedem, der es hören wollte, daß jetzt noch eine Zeit komme, so lang wie die Michaelisferien. Allein das war ein trügerischer Trost, denn war die Höhe der Ferien erreicht, so ging es abwärts und gegen Ende, schnell, so fürchterlich schnell, daß er sich an jede Stunde hätte klammern mögen, um sie nicht vorüber zu lassen, und jeden Seeluft-Atemzug verlangsamen, um das Glück nicht achtlos zu vergeuden.
    Aber die Zeit verging unaufhaltsam im Wechsel von Regen und Sonnenschein, See- und Landwind, stiller, brütender Wärme und lärmenden Gewittern, die nicht über das Wasser konnten und kein Ende nehmen zu wollen schienen. Es gab Tage, an denen der Nordost-Wind die Bucht mit schwarzgrüner Flut überfüllte, welche den Strand mit Tang, Muscheln und Quallen bedeckte und die Pavillons bedrohte. Dann war die trübe, zerwühlte See weit und breit mit Schaum bedeckt. Große, starke Wogen wälzten sich mit einer unerbittlichen und

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