Buddenbrooks
Freuden an die Sommerwochen erinnern, die ich dort als junges, dummes Ding einmal erlebte. Ich wohnte bei Leuten, die ich gern hatte, und die mich auch wohl leiden konnten, wie es schien, denn ich war ein hübscher Springinsfeld damals – jetzt kann ich altes Weib es ja aussprechen – und fast immer guter Dinge. Es waren brave Leute, will ich dir sagen, bieder, gutherzig und gradsinnig und außerdem so gescheut, gelehrt und begeistert, wie ich später im Leben überhaupt keine mehr gefunden habe. Ja, es war ein außerordentlich anregender Verkehr mit ihnen. Ich habe da, was Anschauungen und Kenntnisse betrifft, weißt du, für mein ganzes Leben viel gelernt, und wenn nicht Anderes dazwischen gekommen wäre, allerhand Ereignisse … kurz, wie es im Leben so geht … so hätte ich dummes Ding wohl noch Manches profitiert. Willst du wissen, wie dumm ich damals war? Ich wollte die bunten Sterne aus den Quallen heraushaben. Ich {705} trug eine ganze Menge Quallen im Taschentuche nach Hause und legte sie säuberlich auf den Balkon in die Sonne, damit sie verdunsteten … Dann mußten die Sterne doch übrig bleiben! Ja, gut … als ich nachsah, war da ein ziemlich großer nasser Fleck. Es roch nur ein bißchen nach faulem Seetang …«
4.
Zu Beginn des Jahres 1873 ward dem Gnadengesuch Hugo Weinschenks vom Senate stattgegeben und der ehemalige Direktor ein halbes Jahr vor Ablauf der ihm zugemessenen Strafzeit auf freien Fuß gesetzt.
Würde Frau Permaneder ehrlich gesprochen haben, so hätte sie zugeben müssen, daß dieses Ereignis sie gar nicht sehr freudig berührte; und daß sie es lieber gesehen hätte, wenn Alles nun auch bis ans Ende geblieben wäre, wie es einmal war. Sie lebte mit ihrer Tochter und ihrer Enkelin friedlich am Lindenplatze, im Verkehr mit dem Hause in der Fischergrube und mit ihrer Pensionsfreundin Armgard von Maiboom, geb. von Schilling, die seit dem Ableben ihres Gatten in der Stadt wohnte. Sie wußte längst, daß sie außerhalb der Mauern ihrer Vaterstadt eigentlich nirgends am richtigen und würdigen Platze war, und verspürte, mit ihren Münchener Erinnerungen, ihrem beständig schwächer und reizbarer werdenden Magen und ihrem wachsenden Ruhebedürfnis, durchaus keine Neigung, auf ihre alten Tage noch einmal in eine große Stadt des geeinten Vaterlandes oder gar ins Ausland überzusiedeln.
»Liebes Kind«, sagte sie zu ihrer Tochter, »ich muß dich nun etwas fragen, etwas Ernstes! … Du liebst deinen Mann doch noch immer von ganzem Herzen? Du liebst ihn doch so, daß du ihm, wohin er sich jetzt auch wenden möge, mit eurem Kinde folgen willst, da seines Bleibens hier ja leider nicht ist?«
{706} Und da Frau Erika Weinschenk, geb. Grünlich, hierauf unter Thränen, die alles Mögliche bedeuten konnten, genau so pflichtgemäß antwortete, wie Tony selbst einstmals unter ähnlichen Umständen in ihrer Villa bei Hamburg ihrem Vater geantwortet hatte, so fing man an, mit einer nahen Trennung zu rechnen …
Es war ein Tag, beinahe so schauerlich wie der, an dem Direktor Weinschenk in Haft genommen war, als Frau Permaneder ihren Schwiegersohn in einer geschlossenen Droschke vom Gefängnisse abholte. Sie brachte ihn in ihre Wohnung am Lindenplatze, und dort blieb er, nachdem er verwirrt und ratlos Frau und Kind begrüßt, in dem Zimmer, das man ihm eingeräumt, und rauchte von früh bis spät Cigarren, ohne es zu wagen, auf die Straße zu gehen, ja meistens ohne die Mahlzeiten mit den Seinen gemeinsam zu nehmen, ein ergrauter und vollständig kopfscheuer Mensch.
Das Gefängnisleben hatte seiner körperlichen Gesundheit nichts anhaben können, denn Hugo Weinschenk war stets von durabler Konstitution gewesen; aber es stand doch äußerst traurig um ihn. Es war entsetzlich, zu sehen, wie dieser Mann, der höchstwahrscheinlich nichts Anderes begangen hatte, als was die meisten seiner Kollegen ringsum mit gutem Mut alle Tage begingen, und der, wäre er nicht ertappt worden, ohne Zweifel erhobenen Hauptes und unberührt heiteren Gewissens seinen Pfad gewandert wäre, – durch seinen bürgerlichen Fall, durch die Thatsache der gerichtlichen Verurteilung und diese drei Gefängnisjahre nun moralisch so vollkommen gebrochen war. Er hatte vor Gericht aus tiefster Überzeugung beteuert, und von Sachverständigen war es ihm bestätigt worden, daß das kecke Manöver, welches er seiner Gesellschaft und sich selbst zu Ehr' und Vorteil unternommen, in der Geschäftswelt als Usance gelte. Die
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