Buddenbrooks
darin zu lassen … Mochte es nur Alles wieder beginnen, Das mit den Kammgarnröcken und Das mit Hagenströms und das Andere. Er hatte, was er hatte. Er wollte sich der See und des Kurgartens erinnern, wenn Alles wieder auf ihn einstürmte, und ein ganz kurzer Gedanke an das Geräusch, mit dem abends in der Stille die kleinen Wellen, weither, aus der in geheimnisvollem Schlummer liegenden Ferne kommend, gegen das Bollwerk geplanscht hatten, sollte ihn so getrost, so unberührbar gegen alle Widrigkeiten machen …
Dann kam die Fähre, es kam die Israelsdorfer Allee, der Jerusalemsberg, das Burgfeld, der Wagen erreichte das Burgthor, neben dem zur Rechten die Mauern des Gefängnisses aufragten, wo Onkel Weinschenk saß, er rollte die Burgstraße entlang und über den Koberg, ließ die Breitestraße zurück und fuhr bremsend die stark abfallende Fischergrube hinunter … Da war die rote Façade mit dem Erker und den weißen Karyatiden, und als sie von der mittagwarmen Straße in die Kühle des steinernen Flures traten, kam der Senator, die Feder in der Hand, aus dem Comptoir heraus, um sie zu begrüßen …
Und langsam, langsam, mit heimlichen Thränen, lernte der kleine Johann wieder, die See zu missen, sich zu ängstigen und ungeheuerlich zu langweilen, stets der Hagenströms gewärtig zu sein und sich mit Kai, Herrn Pfühl und der Musik zu trösten.
Die Damen Buddenbrook aus der Breitenstraße und Tante Klothhilde richteten, sobald sie seiner ansichtig wurden, die Frage an ihn, wie nach den Ferien die Schule schmecke, – mit einem neckischen Blinzeln, das ein überlegenes Verständnis für seine Lage vorgab, und jenem sonderbaren Erwachsenen-Hochmut, der Alles, was Kinder angeht, möglichst spaßhaft {703} und oberflächlich behandelt; und Hanno hielt diesen Fragen stand.
Drei oder vier Tage nach der Rückkehr in die Stadt erschien der Hausarzt Doktor Langhals in der Fischergrube, um die Wirkungen des Bades festzustellen. Nachdem er eine längere Konferenz mit der Senatorin gehabt, ward Hanno vorgeführt, um sich, halb entkleidet, einer eingehenden Prüfung zu unterziehen – seines status praesens, wie Doktor Langhals sagte, indem er seine Fingernägel besah. Er untersuchte Hannos spärliche Muskulatur, die Breite seiner Brust und die Funktion seines Herzens, ließ sich über alle seine Lebensäußerungen Bericht erstatten, nahm schließlich vermittelst einer Nadelspritze einen Blutstropfen aus Hannos schmalem Arm, um zu Hause eine Analyse vorzunehmen, und schien im Allgemeinen wieder nicht recht befriedigt.
»Wir sind ziemlich braun geworden«, sagte er, indem er Hanno, der vor ihm stand, umarmte, die kleine, schwarzbehaarte Hand auf seiner Schulter gruppierte und zur Senatorin und Fräulein Jungmann emporsah, »aber ein allzu betrübtes Gesicht machen wir immer noch.«
»Er hat Heimweh nach der See«, bemerkte Gerda Buddenbrook.
»So, so … also dort bist du so gern!« fragte Doktor Langhals, indem er dem kleinen Johann mit seinen eitlen Augen ins Gesicht blickte … Hanno verfärbte sich. Was bedeutete diese Frage, auf die Doktor Langhals ersichtlich eine Antwort erwartete? Eine wahnwitzige und phantastische Hoffnung, möglich gemacht durch die schwärmerische Überzeugung, daß allen Kammgarnmännern der Welt zum Trotz vor Gott nichts unmöglich sei, stieg in ihm auf.
»Ja …« brachte er hervor, seine erweiterten Augen starr auf den Doktor gerichtet. Aber Doktor Langhals hatte gar nichts Besonderes bei seiner Frage im Sinne gehabt.
{704} »Nun, der Effekt der Bäder und der guten Luft wird schon noch nachkommen … schon noch nachkommen!« sagte er, indem er dem kleinen Johann auf die Schulter klopfte, ihn von sich schob und mit einem Kopfnicken gegen die Senatorin und Ida Jungmann – dem überlegenen, wohlwollenden und ermunternden Kopfnicken des wissenden Arztes, an dessen Augen und Lippen man hängt, sich erhob und die Konsultation beendete …
Das bereitwilligste Verständnis noch für seinen Schmerz um die See, diese Wunde, die so langsam vernarbte und, von der geringsten Härte des Alltages berührt, wieder zu brennen und zu bluten begann, fand Hanno bei Tante Antonie, die ihn mit ersichtlichem Vergnügen vom Travemünder Leben erzählen hörte, und auf seine sehnsüchtigen Lobpreisungen lebhaften Herzens einging.
»Ja, Hanno«, sagte sie, »was wahr ist, bleibt ewig wahr, und Travemünde ist ein schöner Aufenthalt! Bis ich den Fuß ins Grab setze, weißt du, werde ich mich mit
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