Buddenbrooks
fremd ist. Wir besuchen jetzt weder Gesellschaften noch geben wir selbst welche …«
»Nein, nein; aber Besuch haben wir trotzdem häufig genug, und das ist nicht meine Schuld, lieber Jean, obgleich du weißt, daß ich mich herzlich darüber freue. Es kommt ein auswärtiger Geschäftsfreund von dir, du bittest ihn zum Essen, er hat noch kein Gasthauszimmer genommen und übernachtet natürlich bei uns. Dann kommt ein Missionar, der vielleicht acht Tage bei uns bleibt … Für übernächste Woche erwarten wir Pastor Mathias aus Kannstatt … Nun, um kurz zu sein, die Salairs sind so gering …«
»Aber sie häufen sich, Bethsy! Wir honorieren vier Leute im Hause und du vergissest die vielen Männer, die im Dienste der Firma stehen!«
»Sollten wir wirklich einen Bedienten nicht erschwingen können?« fragte die Konsulin lächelnd, indem sie ihren Gatten mit seitwärts geneigtem Kopfe anblickte. »Wenn ich an das Personal meiner Eltern denke …«
»Deine Eltern, liebe Bethsy! Nein, nun muß ich dich fragen, ob du dir eigentlich über unsere Verhältnisse klar bist?«
»Nein, das ist wahr, Jean, ich habe wohl nicht die hinlängliche Einsicht …«
{85} »Nun, die ist leicht zu beschaffen«, sagte der Konsul. Er setzte sich im Sofa zurecht, schlug ein Bein über das andere, that einen Zug aus seiner Cigarre und begann, während er die Augen ein wenig zusammenkniff, mit außerordentlicher Geläufigkeit seine Zahlen hervorzubringen …
»Kurz und gut: Mein seliger Vater hat seinerzeit, vor meiner Schwester Heirat, rund und nett 900 000 Mark Courant besessen, abgesehen, wie sich versteht, von dem Grundbesitz und dem Werte der Firma. 80 000 sind als Mitgift nach Frankfurt, und 100 000 bei Gottholds Etablierung abgegangen: macht 720 000. Dann kam der Kauf dieses Hauses, das trotz der Einnahme für das kleine in der Alfstraße mit Verbesserungen und Neuanschaffungen volle 100 000 gekostet hat: macht 620 000. Nach Frankfurt wurden als Entschädigungssumme 25 000 gezahlt: macht 595 000, und so hätten die Dinge bei Vaters Tode gelegen, wären alle diese Spesen nicht im Laufe der Jahre durch rund 200 000 Courantmark Verdienst korrigiert worden. Das Gesamtvermögen betrug also 795 000. Dann wurden ferner 100 000 an Gotthold ausgekehrt und noch 267 000 nach Frankfurt; das macht, wenn ich noch ein paar tausend Courantmark kleinerer Vermächtnisse abrechne, die nach Vaters Testament an das Heilige-Geist-Hospital, die Kaufleute-Witwen-Kasse u.s.w. gingen, etwa 420 000, mit deiner Mitgift um 100 000 mehr. Das sind, in runden Summen und abgesehen von allerhand kleineren Schwankungen des Vermögens, ungefähr die Verhältnisse. Wir sind nicht so ungemein reich, meine liebe Bethsy, und bei alledem muß man bedenken, daß das Geschäft zwar kleiner geworden ist, daß aber die Geschäftsspesen dieselben geblieben sind, weil der Zuschnitt des Geschäftes es nicht gestattet, die Unkosten herabzusetzen … Hast du mir folgen können?«
Die Konsulin nickte ein wenig zögernd, die Stickerei im Schoße. »Recht gut, mein lieber Jean«, sagte sie, obgleich sie {86} nicht alles verstanden hatte und durchaus nicht begriff, warum alle diese großen Summen sie hindern sollten, einen Bedienten zu engagieren.
Der Konsul ließ seine Cigarre aufglimmen, stieß mit zurückgeneigtem Kopfe den Rauch von sich und fuhr dann fort:
»Du denkst, daß wir ja, wenn einmal deine lieben Eltern zu Gott gerufen werden, noch etwas Beträchtliches zu erwarten haben, und das ist richtig. Jedoch … wir dürfen damit nicht allzu unvorsichtig rechnen. Ich weiß, daß dein Vater ziemlich peinliche Verluste gehabt hat und zwar, wie bekannt ist, durch Justus. Justus ist ein äußerst liebenswürdiger Mensch, aber er ist nicht eben ein starker Geschäftsmann und hat auch unverschuldetes Unglück gehabt. Er hat bei mehreren Kunden höchst störende Einbußen erlitten, die Folge seines geschwächten Betriebskapitals war teures Geld, durch Transaktionen mit Bankiers, und dein Vater hat mehrere Male mit bedeutenden Summen einspringen müssen, damit kein Unglück geschah. Dergleichen kann sich wiederholen und wird sich, fürchte ich, wiederholen, denn – verzeih mir, Bethsy, wenn ich aufrichtig rede – die gewisse heitere Leichtlebigkeit, die bei deinem Vater, der mit Geschäften nichts mehr zu thun hat, so angenehm wirkt, kommt deinem Bruder, als Geschäftsmann, schlecht zu statten … Du verstehst mich … er
ist
nicht sehr behutsam, wie?
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