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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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salutierenden Kolonnen, worauf er die Arme mit den trichterförmigen, schmutzigen Manschetten erhob und sie mit weit gespreizten Fingern senkte, wie Jemand, der voll in die Tasten greift. »Setzt euch«, sagte er dabei mit seinem Kontrabaßorgan. Er duzte Jedermann.
    Die Schüler versanken. Herr Modersohn zog mit zitternden Händen den Armstuhl herbei und der Direktor setzte sich zur Seite des Katheders. »Bitte, nur fortzufahren«, sagte er; und das klang genau so entsetzlich, als hätte er gesagt: »Wir werden ja sehen, und wehe demjenigen …!«
    Es war klar, warum er erschienen war. Herr Modersohn sollte vor ihm eine Probe seiner Unterrichtskunst ablegen, sollte zeigen, was die Real-Untersekunda in sechs oder sieben Stunden bei ihm gelernt hatte; es galt Herrn Modersohns Existenz und Zukunft. Der Kandidat bot einen traurigen Anblick, als er wieder auf dem Katheder stand und Jemanden zur Wiederholung des Gedichtes »The monkey« aufrief. Und wie bislang nur die Schüler geprüft und begutachtet worden waren, so geschah es nun gleichzeitig auch mit dem Lehrer … Ach, es erging beiden Teilen schlecht! Das Erscheinen Direktor Wulickes war eine Überrumpelung, und niemand, bis auf zwei oder drei, war vorbereitet. Herr Modersohn konnte unmöglich die ganze Stunde lang Adolf Todtenhaupt fragen, der Alles wußte. Da »The monkey« in Gegenwart des Direktors nicht mehr abgelesen werden konnte, so ging er jammervoll, und als die Lektüre von »Ivanhoe« an die Reihe kam, konnte eigentlich nur der junge Graf Mölln ein wenig übersetzen, weil bei ihm ein privates Interesse für den Roman vorhanden war. Die Übrigen stocherten hustend und hülflos zwischen den Vokabeln umher. Auch Hanno Buddenbrook ward aufgerufen und kam nicht über eine Zeile hinweg. Direktor Wulicke stieß einen Laut aus, wie wenn die tiefste Saite des Kontrabasses heftig ange {817} strichen wird. Herr Modersohn rang seine kleinen, ungeschickten, mit Tinte besudelten Hände und wiederholte jammernd:
    »Und sonst ging es immer so gut! Und sonst ging es immer so gut!«
    Dies wiederholte er noch, als es schellte, verzweiflungsvoll halb an die Schüler und halb an den Direktor gewendet. Aber der liebe Gott stand fürchterlich aufgerichtet, mit verschränkten Armen vor seinem Stuhle und blickte mit abweisendem Kopfnicken starr über die Klasse hinweg … Und dann befahl er das Klassenbuch und schrieb langsam allen Denjenigen, deren Leistungen soeben mangelhaft oder gleich Null gewesen waren, einen Tadel wegen Trägheit hinein, sechs oder sieben Schülern auf einmal. Herr Modersohn konnte nicht eingeschrieben werden, aber er war schlimmer daran, als Alle; er stand da, fahl, gebrochen und abgethan. Hanno Buddenbrook aber war ebenfalls unter den Getadelten. – »Ich will euch eure Carrière schon verderben«, sagte Direktor Wulicke noch. Und dann verschwand er.
    Es schellte, die Stunde war aus. So hatte es kommen sollen. Ja, so war es immer. Wenn man sich am meisten ängstigte, so ging es einem, wie aus Hohn, beinahe gut; aber wenn man nichts Übles gewärtigte, so kam das Unglück. Hannos Avancement zu Ostern war nun endgültig unmöglich. Er stand auf und ging mit müden Augen aus dem Zimmer, indem er seine Zunge an dem kranken Backenzahne scheuerte.
    Kai kam zu ihm, legte den Arm um ihn und ging mit ihm, inmitten der erregten Kameraden, die über die außerordentlichen Ereignisse disputierten, auf den Hof hinunter. Er blickte ängstlich und liebevoll in Hannos Gesicht und sagte:
    »Verzeih, Hanno, daß ich eben übersetzt habe und nicht lieber stillschwieg und mich auch einschreiben ließ! Es ist so gemein …«
    {818} »Habe ich vorhin nicht auch gesagt, was ›patula Jovis arbore, glandes‹ heißt?« antwortete Hanno. »Das ist nun schon so, Kai, laß es gut sein. Man muß es gut sein lassen.«
    »Ja, das muß man wohl. – Also der liebe Gott will dir die Carrière verderben. Dann mußt du dich wohl darein ergeben, Hanno; denn, wenn es sein unerforschlicher Wille ist … Die Carrière, was für ein liebes Wort! Herrn Modersohns Carrière ist nun auch dahin. Er wird nie Oberlehrer werden, der Arme! Ja, es giebt Hülfslehrer, und es giebt Oberlehrer, mußt du wissen, aber Lehrer giebt es nicht. Dies ist nun etwas, was man nicht so leicht verstehen kann, weil es nur für ganz Erwachsene ist und Solche, die vom Leben gereift sind. Man könnte sagen: Jemand ist ein Lehrer oder er ist keiner; wie Jemand ein Oberlehrer sein kann, das verstehe ich nicht.

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