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Buddenbrooks

Buddenbrooks

Titel: Buddenbrooks Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Thomas Mann
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Widerstand und Furcht … Doktor Mantelsack aber fuhr fort, zu unterrichten. Er rief einen anderen Schüler auf, irgend einen, Adolf Todtenhaupt, weil er für heute ganz und gar die Lust verloren hatte, die Zweifelhaften zu prüfen. Und dann kam noch einer {809} daran, der mäßig vorbereitet war, und nicht einmal wußte, was »patula Jovis arbore, glandes« hieß, weshalb Buddenbrook es sagen mußte … Er sagte es leise und ohne aufzublicken, weil Doktor Mantelsack ihn fragte, und erhielt ein Kopfnicken dafür.
    Und als es mit den Produktionen der Schüler zu Ende war, hatte die Stunde auch jedes Interesse verloren. Doktor Mantelsack ließ einen Hochbegabten auf eigene Faust weiter übersetzen und hörte ebenso wenig zu, wie die anderen Vierundzwanzig, die anfingen, sich für die nächste Stunde zu präparieren. Dies war nun gleichgültig. Man konnte niemandem ein Zeugnis dafür geben, noch überhaupt den dienstlichen Eifer darnach beurteilen … Auch war die Stunde nun gleich zu Ende. Sie war zu Ende; es schellte. So hatte es kommen sollen für Hanno. Sogar ein Kopfnicken hatte er bekommen.
    »Nun«, sagte Kai, als sie inmitten der Kameraden über die gotischen Korridore ins Chemiezimmer gingen … »Was sagst du jetzt, Hanno! Wenn sie die Stirn des Cäsar werden sehen … Du hast ein unerhörtes Glück gehabt!«
    »Mir ist übel, Kai«, sagte der kleine Johann. »Ich will es gar nicht, das Glück, es macht mir übel …«
    Und Kai wußte, daß er in Hannos Lage genau so empfunden haben würde.
    Das Chemiezimmer war ein Gewölbe mit amphitheatralisch aufsteigenden Bänken, einem langen Experimentiertisch und zwei Glasschränken voller Phiolen. Die Luft war in der Klasse zuletzt wieder sehr heiß und schlecht gewesen, aber hier war sie gesättigt mit Schwefel-Wasserstoff, mit dem soeben experimentiert worden war, und stank über alle Maßen. Kai riß das Fenster auf, stahl dann Adolf Todtenhaupts Reinschrift-Heft und begann, in großer Eile das Pensum abzuschreiben, das heute vorzuweisen war. Hanno und mehrere andere Schüler thaten dasselbe. Das nahm die ganze Pause in Anspruch, bis es schellte und Doktor Marotzke erschien.
    {810} Dies war der tiefe Oberlehrer, wie Kai und Hanno ihn nannten. Es war ein mittelgroßer, brünetter Mann, mit außerordentlich gelbem Teint, zwei Wulsten an der Stirn, einem harten und schmierigen Bart und ebensolchem Haupthaar. Er sah beständig übernächtig und ungewaschen aus, was aber wohl auf Täuschung beruhte. Er unterrichtete in den Naturwissenschaften, aber sein Hauptgebiet war die Mathematik, und er galt für einen bedeutenden Denker in diesem Fache. Er liebte es, von den philosophischen Stellen der Bibel zu sprechen, und zuweilen, in guter und träumerischer Stimmung, ließ er sich vor Sekundanern und Primanern herab, seltsame Auslegungen geheimnisvoller Schriftstellen zu liefern … Außerdem aber war er Reserveoffizier und zwar mit Begeisterung. Als Beamter, der zugleich Militär war, stand er bei Direktor Wulicke aufs Beste angeschrieben. Er hielt von allen Lehrern am meisten auf Disziplin, musterte die Front der strammstehenden Schüler mit kritischem Blick und verlangte kurze und scharfe Antworten. Diese Mischung von Mysticismus und Schneidigkeit war ein wenig abstoßend …
    Die Reinschriften wurden vorgezeigt, und Doktor Marotzke ging umher und tippte auf jedes Heft mit dem Finger, wobei gewisse Schüler, die nichts geschrieben hatten, ihm ganz andere Bücher oder alte Arbeiten vorlegten, ohne daß er dies bemerkte.
    Dann begann er den Unterricht; und wie soeben gelegentlich des Ovid, so hatten die fünfundzwanzig jungen Leute sich jetzt mit Rücksicht auf Bor, Chlor oder Strontium über ihren Diensteifer auszuweisen. Hans Hermann Kilian ward belobigt, weil er wußte, daß BaSO 4 oder Schwerspat das gebräuchlichste Fälschungsmittel sei. Überhaupt war er der Beste, darum, weil er Offizier werden wollte. Hanno und Kai wußten gar nichts, und in Doktor Marotzkes Notizbuch erging es ihnen übel.
    Und als es mit dem Prüfen, Verhören und Zeugnisgeben zu {811} Ende war, war auch das Interesse an der Chemiestunde allerseits so gut wie erschöpft. Doktor Marotzke fing an, ein paar Experimente zu machen, ein wenig zu knallen und farbige Dämpfe zu entwickeln, aber das war gleichsam nur, um den Rest der Stunde auszufüllen. Schließlich diktierte er das Pensum, das fürs nächste Mal zu lernen war. Dann klingelte es, und auch die dritte Stunde war vorüber.
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