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Buerger, ohne Arbeit

Titel: Buerger, ohne Arbeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolfgang Engler
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immer sind es der Beruf, das funktionelle Schema, die die individuellen
     Besonderheiten der Person einfangen und typologisierend überblenden. Arbeiter der untersten Kategorie, Lackierer, Kohlenträger,
     Handlanger oder Schauerleute, die Sander in jenen Jahren porträtierte, kurz vor dem »Großen Krach« von 1929, wirken gleichfalls
     wie Exempel aus dem Garten der sozialen Arten. Nur ist es in ihrem Fall das kollektive Lageschicksal und nicht der Berufsstand,
     der das expressive Spiel von Minen und Gebärden streng normiert. In der Normierung als solcher, der weitgehenden Verwandlung
     sozialer Fremdzwänge in Selbstzwänge des Ausdrucksverhaltens, traf sich die traditionelle Mitte der Gesellschaft mit der Arbeiterschaft.
     Die persönliche Eigenart, individuelle Stimmungen, Gefühle und Wünsche zwangloser artikulieren zu können, war zu Sanders Zeiten
     das Vorrecht von Minderheiten, von Künstlern und Intellektuellen, großstädtischen Angestellten oder weltläufigen Unternehmern.
     Die Rundfunksekretärin aus dem Jahr 1931 spricht zu uns wie eine gute Bekannte; in ihrer Epoche kühn, beinahe avantgardistisch,
     formuliert ihr Gestus eine inzwischen allgemeine Forderung an das Leben wie an den Beruf: Sie sollen UNS gehören, das Leben
     ganz, die Arbeit soweit es irgend geht.
    6. Einheit von Arbeit und Leben, von Sein und Tun für jede und für jeden – das ist die Forderung der Gegenwart. Wo sie enttäuscht
     wird, meldet sich ein unglückliches Erhabensein über die soziale Rolle zu Wort. Auch davon legt die Köchin bildlich Zeugnis
     ab. Für den ganzen Umfang dessen, was sie in ihrem bisherigen Leben an Sachkenntnis |20| erworben, sozial mit anderen erfahren hat, bietet die Arbeit in einer Großküche ein allzu eingeschränktes Betätigungsfeld.
     Sie weiß mehr zu geben, als man von ihr verlangt, und dieses Gefühl, im Beruf nicht wirklich aus sich herausgehen zu können,
     teilt sie mit ungezählten anderen. Die Unzufriedenheit, mitten im Aktivitätszentrum der Gesellschaft zu verkümmern, seine
     besten Jahre zu verlieren, nur dahinzuleben, gab den Anlaß zur vorläufig letzten Revolutionierung der Arbeitsverhältnisse.
     Sie griff die Forderung auf, proklamierte die Einheit von Arbeit und Leben – und »arbeitete« das Leben in die Arbeit ein.

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    |21| Vom Arbeiter, vom Bürger und vom Menschen
    § 1 Arbeit als kulturelles Phänomen
    1. Beklagenswert der Mensch, der keine Arbeit findet:
    »Die Arbeit ist der Eckstein, auf dem die Welt ruht, sie ist die Wurzel unserer Selbstachtung.« 3
    »Wenn sich eine Ware nicht verkauft, mag das ärgerlich sein; ein Mensch ohne Arbeit aber, das ist eine Tragödie.« 4
    Beklagenswert der Mensch, der Arbeit leistet:
    »Von Belang für die Gesellschaftsordnung, in der wir leben, ist nicht so sehr, daß zum ersten Mal in der Geschichte die arbeitende
     Bevölkerung mit gleichen Rechten in den öffentlichen Bereich zugelassen ist, als daß in diesem Bereich alle Tätigkeiten als
     Arbeiten verstanden werden, daß also, was immer wir tun, auf das unterste Niveau menschlichen Tätigseins überhaupt, die Sicherung
     der Lebensnotwendigkeiten und eines ausreichenden Lebensstandards, heruntergedrückt ist.« 5
    Der Mensch am Ende aller Arbeit – am Ende seiner selbst?
    »Ich denke mit Schrecken daran, welche Umstellung der Gewohnheiten und Instinkte das vom Durchschnittsmenschen erfordern würde,
     Gewohnheiten, die sich über zahllose Generationen eingenistet haben und nun womöglich binnen einiger weniger Jahrzehnte abgelegt
     werden sollen …« Käme es so, sähe »sich der Mensch erstmals seit seiner Erschaffung seinem wahren und beständigen Problem
     konfrontiert – mit der Frage, was er mit seiner Freiheit, seiner Befreiung von drängenden wirtschaftlichen Sorgen, mit einem
     Wort, mit seiner Freizeit, die ihm Wissenschaft und Zinseszins beschert haben, anfangen soll, um ein gleichermaßen vernünftiges,
     angenehmes und gutes Leben zu führen«. 6 – Auszüge aus dem |22| verwirrenden Rollenspiel der Arbeit, die mehr über die Kunst ihrer intellektuellen Maskenbildner als über ihr Wesen verraten.
     Oder sollte gerade das ihr Wesen sein – den Blick gewandt zu spiegeln, der sie trifft? Sollte sie, die die menschliche Natur,
     den sozialen Charakter des Menschen wie keine andere Praxis formte, um- und neu schuf, selbst ohne Charakter sein?
    2. Was ist Arbeit? Die Frage, ohne weitere Umstände als solche aufgeworfen, liegt auf derselben

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