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Bugatti taucht auf

Bugatti taucht auf

Titel: Bugatti taucht auf Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Loher
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glücklich.
    Frisée war nichts als ein kleiner Angeber. Ein Angeber und Wichtigtuer, und die Geschichte von der Pokerpartie mit Dreyfus hatte er erfunden. Allerdings, wenn Ascona damals auch so ein verschlafenes und irgendwie treuherziges Nest gewesen war wie heute, und das war anzunehmen, dann konnte er Frisée verstehen, vielleicht hatte er auch nur dem Bedürfnis nachgegeben, Leben in die Bude zu bringen. Oder, und das war wahrscheinlicher, er hatte vor, den Wert des Autos zu steigern, indem er vorgab, es von Dreyfus gewonnen zu haben. Um zu Ambrosius zu sagen, »ich verpfände dir mein Auto, pass auf, ein Auto, das vom Champion Dreyfus persönlich gefahren worden ist, hey, sein Arsch saß auf diesem Polster, verstehst du mich, das ist kein x-beliebiges, gewöhnliches Gefährt. Dreyfus! Lass was springen dafür! Wenn ich doch nicht zahlen kann, und der Wagen bleibt dir, umso besser.«
    Und später würde Jordi herausfinden, dass Frisée die Papiere behalten hatte, die Konstruktionsplakette und das Kühlerschild. Aber was damit passiert war, war eine andere Geschichte. Ein gerissener Fuchs, ein verdammter Ganove, ein elender Schwanzlutscher.
    Jordi hob das Foto hoch.
    »Was ist aus Dreyfus geworden?«
    Jordi hörte, wie Bronski leise vor sich hin seufzte, mehrmals hintereinander, dann tauchte sein Gesicht hinter der Büchermauer auf.
    »René Dreyfus war dem Papier nach Halbjude; sein Vater kam aus einer jüdischen Familie, seine Mutter aus einer katholischen. Die drei Kinder waren nicht religiös erzogen worden, und René hatte zu keinem Glauben eine besondere Affinität. Als er die Frau gefunden hatte, die er heiraten wollte, und ihre Familie verlangte, dass er dafür zum Katholizismus übertreten sollte, tat er es, ohne viel Aufhebens davon zu machen. Die Frau hieß Giberte Miraton, ließ sich Chou-Chou nennen; ihr Vater hatte ein Vermögen mit Abführmitteln gemacht.«
    Bronski kommentierte diese Tatsachen mit einem Lacher, der distanziert und bitter klang. Eine Weile war Stille, dann fuhr Bronski fort.
    »Sie können sich vielleicht inzwischen vorstellen, dass Dreyfus ein ausgesprochen ausgeprägtes Gefühl besaß für Missstimmungen, Feindseligkeiten, Ungerechtigkeit. Er spürte den Wind wehen und konnte bald sagen, aus welcher Richtung er kam. Mit anderen Worten, er bemerkte ziemlich früh, wie sich in manchen Ländern Europas die nationalistische Propaganda erst unterschwellig, dann umso offener breitmachte und an Boden gewann. Er, ein Franzose, war zuerst als Profi für Maserati gefahren, also für Italien, dann für Bugatti – einen gebürtigen Italiener im Elsass, das wieder französisch war –, danach hatte er einen Vertrag mit Ferrari. Er war dauernd umgezogen, hatte die Länder gewechselt, Sprachen gelernt, und er hatte es genossen. Und dann, 1935 besetzten die Italiener Äthiopien. Äthiopien! Dreyfus hatte die Umtriebe der Faschisten genau verfolgt, und der Einmarsch in Äthiopien war ihm Grund genug, bei Ferrari zu kündigen, aus Italien wegzuziehen und in Frankreich weiterzuarbeiten, diesmal für Delahaye.
    Dummerweise entwickelten die Nazis eine richtiggehende Leidenschaft für Autorennen, wahrscheinlich steckte die Art Fanatismus dahinter, mit der sie alle technischen Entwicklungen auf die Spitze treiben und beherrschen wollten. Sie steckten ungeheuere Mengen Staatsgelder in die Entwicklung von Motoren, so dass die beiden Mercedes-Benz und Auto Union in den mittleren dreißiger Jahren fast alle Rennen für sich entscheiden konnten oder sie jedenfalls auf aggressive Weise dominierten. Kein anderes Land konnte mehr mithalten. Es schien fast so etwas wie eine leichte Depression über den Rennen zu liegen, die mit der Übermacht der Deutschen zu tun hatte und mit dem martialischen Gehabe, das sich immer mehr mit ihren Auftritten verband, der Nürburgring beflaggt mit schwarz-roten Hakenkreuzfahnen, die Stimmung unter den ausländischen Teilnehmern war nicht grade heiter und gelöst. Die Franzosen ihrerseits wollten dem nicht tatenlos zusehen, und deshalb lobte die Regierung kurzerhand einen Preis aus für das schnellste Auto, soll heißen, für den leistungsfähigsten Motor – der musste natürlich aus Frankreich stammen. Der Sieger dieses Rennens sollte die absolut fantastische Summe von einer Million Francs gewinnen. Also nicht der Fahrer persönlich, das Autowerk. Der Preis war umstritten, und es gab Gezänk und Gezerre über das Für und Wider, aber kurz und gut – es war René Dreyfus, der

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