Bugatti taucht auf
schwanger, sie wurde als Einzige freigelassen, Wimille konnte aus der Haft fliehen, aber Benoist wurde gehängt, Williams erschossen, und Monsieur Tayssèdre überlebte die Haft nicht. Dieser Widerstand wäre nicht Ettores Sache gewesen, so ein Krieger war er nicht; aber angeblich soll Ettore das Büro in Paris finanziert haben, in dem sich die Résistance-Gruppe traf, obwohl ich nicht sicher bin, ob das stimmt, vielleicht nur ein Gerücht. Nach dem Krieg hat Ettore versucht, seine Fabrik zurückzubekommen, und als er an einem der Prozesstage auf dem Weg von Colmar an der Stelle vorbeikam, an der Jean den Unfall hatte, brach er dort zusammen; wenig später stellte man fest, dass er einen Schlaganfall erlitten hatte, und ungefähr drei Monate danach war er tot.«
»Ich hatte keine Ahnung«, sagte Jordi.
»Woher auch.«
»Nein, das meine ich nicht. Ich meine nicht Bugatti. Ich habe immer noch keine Ahnung. Das hätte ich Umberto Mezzanotte sagen sollen. Und ich habe es nicht getan. Ich weiß jetzt, wie es ist, wenn der eigene Vater gestorben ist, aber wie es ist, einen Sohn zu verlieren, das weiß ich nicht. Das hätte ich Umberto sagen sollen, ich hätte sagen sollen, es ist unnatürlich, deshalb kann dich niemand trösten.«
»Na«, warf Bronski ein, »Vorsicht mit der Natur, die Natur ist die einzige Idee, in der alles möglich ist.«
»Sie wissen, was ich meine. Aber egal, wie es ist, ich hätte ohnehin nicht so weitermachen können. Letztlich«, sagte Jordi, »laufen alle Fragen auf diese eine hinaus, die du dir immer wieder stellen wirst: ist es meine Zeit wert?«
Bronski sah Jordi schweigend an, es war nicht zu erkennen, was er dachte und ob er Jordi bemitleidete oder ihn arrogant fand. Er schwieg so lange, dass es Jordi unbehaglich wurde. Hatte er Bronski verärgert, fand der ihn dumm oder einfach verstockt? Aber Bronskis Gesicht sah arglos aus, keine Missstimmung ließ sich von ihm ablesen.
Endlich kramte Bronski eine Weile in seiner Papiertüte, suchte zwischen den Blättern eine bestimmte Seite, und als er sie gefunden hatte, sagte er »ah ja.«
In der Rückschau dachte Ettore oft, wie sehr Naivität eine Voraussetzung dafür ist, etwas Großes zu leisten. Es genügte nicht, an sich selber oder an seine Pläne zu glauben, man musste die unschuldige Abenteuerlust haben, zu sehen, was kommt, die ungeheuerlichsten Dinge geschehen zu lassen
.
Bronski schmunzelte ein wenig, kaum so viel, dass es in dem fahlgelben Licht zu erkennen war.
»Sie haben Ihren Frieden gemacht, nicht wahr?«, entfuhr es Jordi. Er erschrak darüber, dass der Satz, den er soeben nur gedacht hatte, laut zu hören war, es konnte als abfällig verstanden werden, so hatte er es nicht gemeint, es war eine Spur von Neid, die er empfand, oder noch eher eine Sehnsucht danach, so eine Form des Einverständnisses mit sich selbst und dem eigenen Leben zu erreichen. Dann wieder, wenn er länger darüber nachdachte, erschien ihm genau das als schlimmstmöglicher aller Zustände, etwas, das er sich zuallerletzt wünschte und zuallerletzt wollte, es wäre genau die Art, seinem Leben allmählich den Sauerstoff zu nehmen und langsam dahinzusiechen, es wäre das langsame, unendlich öde und traurige Ende.
Jordi wurde sehr ruhig. Die Gegenwart Bronskis, der dunkle Raum, in dem sie nur eine einzige kleine Lampe eingeschaltet hatten, die hoch über ihnen an einem Regalbrett festgeklemmt war und von dort einen Lichtfinger durch den Raum sandte, das Wissen, in diesem Haus wie in einem Papierhaus zu sitzen, umgeben von Hunderttausenden von Buch-, Magazin- und Zeitungsseiten, von Fotobänden und Lexika, das alles erfüllte Jordi mit einer ungewohnten Müdigkeit, und er war dabei einzunicken, als Bronskis Hand sachte an seiner Schulter rüttelte.
»Kommen Sie, ich zeige Ihnen, wo Sie schlafen werden.«
Jordi, den plötzlich die Angst befiel, er müsse auf einen Stoß Papier klettern bis unter die Zimmerdecke und bekomme dann eine Decke nach oben gereicht, nuschelte etwas von »ich werde mich ins Auto legen, das geht gut«, aber Bronskis Hand dirigierte ihn vor sich durch die Küche und das Vorzimmer, auf der Terrasse langte er unter der Gartenbank eine Taschenlampe hervor und begann den Feldweg neben dem Haus entlangzugehen.
Zu Jordi sagte er, »Sie werden verstehen, dass ich kein Gästezimmer im Haus haben kann.«
Jordi war zu erschöpft, um Vorstellungen zu haben, traute aber seinen Augen kaum, als sie nach kurzem Weg eine Lichtung erreichten, in
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