Bullenball
Gerechtigkeit. Sachen, für die es sich
zu leben lohnt.
Ja. Das sind gute Träume. Ich werde alle Menschen auf der Welt dazu
zwingen, in Freundschaft und gegenseitigem Respekt zu leben. Und wer sich
weigert, der wird hingerichtet. Kopfschuss und fertig. Dann sähe es anders aus
auf unserm Planeten, das schwöre ich. Ich wünschte, ich hätte die Macht dazu.
3
Eine bessere Verlobungsfeier hätte sich keiner wünschen
können. Der Abend war perfekt. Der Festsaal zum Bersten gefüllt. Es herrschte
eine tolle Atmosphäre, alle waren gekommen. Es war einer jener seltenen Abende,
an denen vieles möglich schien.
Eigentlich hätte dies ihre eigene Verlobung sein müssen. Doch
stattdessen war sie nur Gast, und das Ganze wurde für ihre beste Freundin Jule
veranstaltet. Marie hätte am liebsten laut geschrien, aber sie tat es nicht.
Sie spielte das Spiel mit, wie es von ihr verlangt wurde.
Neben ihr am Tresen standen ein paar Jungs aus der Jazzband, die mit
verbundenen Augen Papierflieger ins Spirituosenregal warfen. Die Flaschen, die
vom Flieger getroffen wurden, stellte der Kellner auf den Tresen, und ganz
egal, worum es sich dabei handelte – unter großem Geschrei wurde eingeschenkt
und getrunken.
»Mach doch mit, Marie«, rief einer. »Dann bist du jetzt dran mit
Werfen!«
Doch sie winkte ab. »Lass mal. Aber nett, dass du fragst.«
Sie hatte sich an den Tresen zurückgezogen, weil sie eine Auszeit
brauchte. Den ganzen Abend über hatte sie mit Jule und Jonas und deren engsten
Freunden an einem Tisch gesessen. Es war ein einziger Albtraum gewesen. Ihre
Gesichtszüge schmerzten von der zwanghaften Heiterkeit. Dabei brach doch gerade
ihre Welt zusammen, vor aller Augen, ohne dass einer es bemerkte. Und als wäre
das alles noch nicht grausam genug, hatte sich Jule irgendwann zu ihr
herübergebeugt und flüsternd gefragt: »Ich weiß, das ist alles sehr
kurzfristig, aber könntest du dir vorstellen, meine Trauzeugin zu werden?«
Marie war völlig verdattert gewesen. Jule hatte sie damit kalt erwischt, da war
ihr nichts anderes eingefallen, als zuzusagen.
Plötzlich verstummte die Musik. Die Leute blickten sich fragend um.
Auf der Tanzfläche wurden Buhrufe laut. Am DJ -Pult gab es
Gerangel, ein Vierergrüppchen verdrängte den DJ und holte
Instrumente hervor. Es waren Mitglieder der Jazzband: Saxofon, Posaune,
Akkordeon und Trompete. Sie stiegen die wackelige Treppe zur Tanzfläche hinab
und begannen zu spielen: »Es gibt kein Bier auf Hawaii«.
Zuerst ernteten sie Gelächter und spöttische Kommentare, doch das
änderte sich schnell. Die Leute hatten bereits genug getrunken, um für so etwas
in Stimmung zu sein. Also schlossen sich alle zu einer Polonaise zusammen, und
es ging schnurstracks zum Tisch von Jule und Jonas, die umzingelt und von der
Menge hochgehoben wurden.
Marie musste sich etwas einfallen lassen, und zwar schnell. Das
konnte so nicht weitergehen. Sie hätte diejenige sein müssen, die an Jonas’
Seite gefeiert würde, nicht Jule. Das war doch der totale Wahnsinn.
»Hey, Marie! Was machst du denn hier? So verloren am Tresen?«
Hinter ihr war Marlon aufgetaucht, der Tonmischer der Jazzband. Er
war einer der wenigen Menschen, die sie jetzt ertragen konnte. Ein ruhiger und
angenehmer Typ mit einer riesigen Hornbrille, die ihn aussehen ließ wie Buddy
Holly. Ein bisschen aus der Zeit gefallen, aber das passte zu ihm. Er studierte
Informatik oder so was, und in der Band bekam man ihn meist nur bei den
Auftritten zu Gesicht. Dann stand er mit leicht entrücktem Gesichtsausdruck
hinter seinem Pult, drehte grübelnd an den Knöpfen und rückte sein Ungetüm von
Brille zurecht. Er war ein netter Kerl, und da er eher ein Außenseiter in der
Jazzband war, fühlte sich Marie an diesem Abend mit ihm verbunden.
Sie lächelte. »Ich lege eine Pause ein. Es kann ziemlich anstrengend
sein am Brauttisch. Außerdem habe ich Kopfschmerzen.«
Er lehnte sich neben sie an den Tresen. »Tja, es ist halt nicht
unser Tag heute. Jonas und Jule sind die Hauptpersonen. Da muss man sich ein
bisschen zusammenreißen, auch wenn man keine Lust hat, stimmt’s?« Er grinste.
»Möchtest du auch ein Bier?«
Sie nickte, woraufhin er dem Kellner ein Zeichen gab.
»Aber im Großen und Ganzen ist es doch eine gelungene Party, findest
du nicht? Und Jule und Jonas scheinen wirklich glücklich zu sein.« Er nahm die
beiden Flaschen entgegen und reichte ihr eine. »Zumindest wirkt das so. Prost.«
Jule und Jonas führten inzwischen
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